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Anerkennung als Kulturorte Mehr Schutz für die Musikclubs

Die Koalition will Spielstätten fördern und baurechtlich vor Verdrängung schützen. Clubbetreiber erklären, warum es wichtig ist, dass Livespielstätten als Kulturorte anerkannt werden.
07.05.2021, 05:00 Uhr
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Mehr Schutz für die Musikclubs
Von Pascal Faltermann

Zwischen alter Industrie, Fabrikhallen und Hafen haben sich die Pusdorf Studios in einem ehemaligen Werftgelände eingenistet. Dort, wo Filmproduzenten, Grafiker und Medienschaffende im Hohentorshafen in Woltmershausen arbeiten, bespielt Nico Hirschmann eine Konzerthalle. Zusammen mit Timo Schumacher hat er zahlreiche Konzerte in dem ehemaligen Isolierbetrieb mitorganisiert. Tom Klose, Hundreds oder Erotik Toy Records standen dort auf der Bühne. Nächte für Literatur fanden statt, 100 verschiedene Discjockeys legten auf. Kleinere Konzerte und Lesungen realisieren Hirschmann und Schumacher im Papp am Eingang der Neustadt. Bislang galten diese beiden Musikclubs als Vergnügungsstätte. Das ändert sich gerade auf Bundes- und Länderebene. In Bremen liegt seit vergangenen September der Bürgerschaftsantrag mit dem Titel „Music was my first love – Musikclubs als Kulturorte anerkennen und fördern" vor, der das ändern soll. Die Bundesregierung entscheidet am Freitag über einen entsprechenden Antrag.

„Das ist längst überfällig“, sagt Hirschmann, der Vorsitzender des Vereins Clubverstärker ist, einer Interessenvertretung von Bremer Spielstätten und Festivals. Weil Livemusik-Spielstätten und deren Betreiber bisher nicht als Kultur, sondern als Vergnügungsstätten angesehen werden, würde man sie baurechtlich mit Bordellen, Spielhallen und Wettbüros gleichsetzen, sagt Hirschmann. „Wir kuratieren aber über das ganze Jahr Veranstaltungsprogramm, machen Kultur zu unserer Herzensangelegenheit, sind bei der Wirtschaftlichkeit aber meist hinten angestellt.“ Dabei biete man Bühnen für Nachwuchskünstler und veranstalte Acts, die sich Besucher aus der Region wünschen und dafür extra anreisen. Zusätzlich bilden die Veranstalter laut Hirschmann eine komplette Wertschöpfungskette für gelungene Veranstaltungen ab. Das betreffe die Bereichen Recherche, Booking, Kommunikation, Ticketing und Werbung, Licht- und Tontechnik, Tresen, Künstlerbetreuung, Verpflegung und Unterbringung.

„All das zusammen schafft einzigartige Erlebnisse“, sagt Hirschmann. Die Macher von Livemusik-Spielstätten handeln also zum größten Teil kulturschaffend wie in Theatern und Konzerthäusern und seien damit weit weg von Vergnügungsstätten per Definition. Musikclubs gehören seiner Meinung nach dort hin, wo sich das Leben abspielt: an zentrale Orte mitten in den Städten, in Viertel und Quartiere.

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Der Antrag der rot-grün-roten Regierungskoalition sieht unter anderem vor, dass das Agent of Change-Prinzip in Bremen angewendet wird. Das verhindert, dass Clubs verdrängt werden. Also: Eine Neuplanung darf den Bestand vor Ort nicht gefährden. Städte wie London und Berlin wenden dieses Prinzip bereits an. Hirschmann begrüßt dies. „Die bestehenden Kulturorte müssen geschützt werden, privat und ohne staatliche Förderungen geführte Live-Spielstätten sind extrem rar geworden“, sagt Olli Brock, Betreiber des Tower Musikclub und des Pier 2. Es sollte im Interesse der Verantwortungsträger der Stadt sein, diese Clubs zu erhalten und zu unterstützen. Jedoch müsse laut Brock gerade in Zeiten wie diesen klar sein, dass die Clubs auch in der ersten Öffnungsphase – wann auch immer die sein wird – Unterstützung bräuchten, um zu überleben.

Sollte sich die Anzahl der kleinen Clubs weiter reduzieren, hätte dies starke Auswirkungen für die Attraktivität der Stadt als Kulturstandort. „Sowohl die lokale Musikszene als auch kleine, interessante und aufstrebende Bands brauchen die kleinen Bühnen. Nicht umsonst haben solche prominenten Acts wie Rammstein, Deichkind, Beatsteaks oder The Hives ihre ersten Auftritte in dieser Stadt im Tower absolviert“, so Brock. Er erhofft sich, dass es nach der Corona-Krise die nötigen Förderungen aus dem Kulturressort gibt.

„Es ist eine kleine Revolution in der Kulturpolitik“, sagt Kai Wargalla (Grüne), die diesen Antrag initiiert hat. Dadurch gebe es eine „elementare Bedeutungsverschiebung“ und eine andere Wertschätzung für die Einrichtungen. „Durch die Anerkennung von Musikclubs als Kulturorte wird die Kulturarbeit, die seit Jahrzehnten erfolgt, auch endlich als solche anerkannt und schützt diese Einrichtungen. Das ist ein Meilenstein“, sagt Julia von Wild, stellvertretende Vorsitzende der Live Musik Kommission, dem Verband der Musikspielstätten in Deutschland.

Info

Zur Sache

Debatte in der Bürgerschaft

Die Abgeordneten der Bremischen Bürgerschaft haben am Donnerstagnachmittag in der Sitzung des Landtags dem Antrag „Music was my first love – Musikclubs als Kulturorte anerkennen und fördern" zugestimmt. Mit Stimmen der SPD, Grünen und Linken will das Regierungsbündnis Musikclubs mit einem eigenen Budget fördern und baurechtlich vor Verdrängung schützen. Die CDU- und FDP-Fraktion enthielten sich bei der Abstimmung.

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