Ahmed Yusuf zeigt das Dokument mit dem er sich ausweist. Oder auch nicht ausweist. Ein Staat ist auf dem abgegriffenen Zettel nicht verzeichnet, nur ein altes Foto trägt er, dazu Name, Eltern, Schulbesuch. Yusuf ist Kurde aus dem Nordosten Syriens, 120.000 von ihnen waren im Zuge einer Volkszählung 1962 ausgebürgert worden. Sie und ihre Nachkommen gelten heute als staatenlos, und Yusuf ist einer von ihnen. Sie dürfen nicht studieren, nicht wählen, heiraten oder reisen. Als seine Heimat zum Kriegsgebiet wird, flüchtet er nach Deutschland und landet in Bremer Norden. Seitdem schreibt Yusuf Gedichte und Novellen.
Dabei ist ihm die Kunst nicht eben in die Wiege gelegt, die Lust dazu aber vielleicht schon. Seine erste Saz, ein traditionelles Zupfinstrument vergleichbar einer Laute, baut er sich als Kind selbst, erzählt er. Auch das Spielen darauf lernt er ohne Lehrer. Gemalt hat er früher, und sein Bruder ist tatsächlich Schriftsteller.
Yusuf schreibt auf Arabisch und denkt arabisch, wenn er schreibt. Es ist nicht seine Muttersprache (das ist Kurdisch), aber es ist die Sprache, die ihm nicht verboten wurde und die, mit der er zu schreiben lernte. Ein kurdisches Gedicht gibt es von ihm nicht. "Geht nicht", sagt er auf Deutsch.
Sein erstes Werk entsteht auf einer Zugfahrt nach Syke, wo er einen Vortrag der freischaffenden Künstlerin Heide Marie Voigt mit seiner Saz musikalisch begleiten soll. Weil sie seinen Lebenslauf für die Vorstellung vergessen hat, beginnt er beim Einstieg in Vegesack, ein Gedicht zu schreiben. Es erzählt von Krieg, zerrissenen Familien und Zeit, die verfliegt. Darin heißt es unter anderem: "Wir verteilen die Sterne/ einer für mich, einer für dich/ wir schlafen alle, wir träumen/von einem schönen neuen Tag./ Aber wir wissen nicht:/ Der Himmel versteckt/ etwas anderes/ für uns".
"Ich muss schreiben, ich tue es, damit die Menschen wissen, wer ich bin", sagt Yusuf, und damit die Deutschsprachigen unter ihnen es verstehen können, hat Heide Marie Voigt es noch im Abteil für ihn übersetzt. Sie tut das bis heute mit all seinen Gedichten. Wie das geht, wo sie die Sprache gar nicht spricht? Erster Versuch: Internet. "Aber da kamen wir nicht in einen lyrischen Prozess", sagt sie. Also erklärt er den Inhalt, Deutsch spricht er gut genug dafür, und sie bringt es in Form. Es ist eine schrittweise Annäherung, bei der irgendwann beide mit dem Ergebnis zufrieden sind.
Für Voigt bedeutet die Übersetzungsarbeit auch ein Eintauchen in das Leben von Ahmed Yusuf. Als er über ein Paar Schuhe schreibt, dass sein Vater, an seinen ersten Sohn und dann an ihn weitergegeben hat, denkt sie zunächst, das sei ein Sprachbild. "Aber nein", erzählt sie, "es stellte sich heraus: Es gab einfach nur ein Paar." Voigt gehört für Yusuf mittlerweile zur Familie. Als er vor sieben Monaten einen Sohn bekommt, wird sie zur inoffiziellen Patentante. Er sagt, ohne sie woller er nicht auftreten. "Wenn sie neben mir sitzt, ist sie meine Partnerin, ich bin dann einfach besser."
Seine Triebfeder, warum er schreiben muss, sei immer ein Gefühl des Schmerzes, sagt Yusuf. Nicht zwingend der eigene, denn: "Ich habe hier keine Probleme", sagt er. Aber natürlich hat er und hat sein Volk eine Geschichte, und vieles daraus klingt an in seinen Texten. Dann geht es um Kultur, um Lebensart und um den Verlust von Identität. Er erzählt von seiner Schwester, die ihren kurdischen Namen arabisieren musste und von einer Moschee, die eigentlich einen kurdischen Namen tragen müsste. Voigt sagt, dass die Basis von Yusufs Gedichten die Erfahrung sei, ausgegrenzt zu werden. Er selbst schreibt über Qamischlo, die Stadt in der er einst lebte. Oder über seine deutsche Nachbarin, die jeden Morgen mit ihrer Katze spazieren geht. Beides nennt er Heimat.