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Zum Tag der Stimme Wenn Singen zum Ritt auf der Rasierklinge wird

Am 16. April ist der Tag der Stimme. Aus diesem Anlass berichtet Stimmcoach Rolando Garza Rodríguez vom Theater Bremen von seinen Erfahrungen. Warum er sogar Verständnis für Sänger hat, die rauchen.
16.04.2024, 05:00 Uhr
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Von Sebastian Loskant

"Ich höre es sofort an der Stimme, wenn eine Sängerin oder ein Sänger zu viel Party gemacht haben." Rolando Garza Rodríguez schmunzelt. "Oder wenn sie zu wenig Schlaf hatten. All das schlägt direkt auf die Stimme. Dann kann man nicht darauf bestehen, an der Stimme zu arbeiten, das ist kontraproduktiv. Da sage ich im Zweifel lieber offen: Wir machen Schluss, geh nach Hause!"

Der Mexikaner, von 2014 bis 2016 und seit 2020 erneut als Studienleiter und Stimmcoach am Theater Bremen tätig, kennt sich mit Stimmen aus – der richtige also, um am "Tag der Stimme", den die HNO-Ärzte seit 1999 am 16. April begehen, aus der Praxis zu plaudern. Der 46-Jährige hat für Hunderte, wenn nicht Tausende Sängerinnen und Sänger und ihre Schüler am Klavier gesessen, darunter so große Namen wie Kiri Te Kanawa, Mirella Freni, Teresa Berganza, Ileana Cotrubas, Sherill Milnes und Anna Moffo.

"Eigentlich habe ich an der Manhattan School of Music Klavier studiert, aber als mich die Gesangspädagogin Mignon Dunn als Begleiter für ihre Klasse engagierte, wusste ich: Das möchte ich immer machen", erzählt er. "Ich habe dabei alles über die Stimme gelernt." Heute entscheidet der Stimmcoach in Bremen, wer welche Partie singen kann, und interveniert, wenn sich Sänger womöglich zu viel zumuten wollen. "Der Einsatz in einer falschen Rolle kann die Karriere ruinieren", sagt Garza Rodríguez. "Die Stimmbänder sind so fragil. Vielleicht klappt es in der Premiere, aber dann ist das Orchester eben doch zu laut, man drückt, man forciert. Diesen Ritt auf der Rasierklinge hält keine Stimme lange aus."

Eine Geige oder ein Klavier könne man austauschen, die Stimmbänder nicht. Entsprechend ist man schnell bei den Gefahren, die allen Sängern drohen. Etwa unterschiedliche Partien zu schnell hintereinander zu singen. "Wenn die Stimme auf Mozart eingestellt ist, können Sie nicht am nächsten Tag Verdi oder Wagner singen." Wie beim Sport sei gezieltes Training erforderlich, um die Stimme auf die jeweilige Aufgabe einzustellen.

Der Experte rät auch davon ab, mit Erkältung zu singen – und nicht nur wegen der Ansteckungsgefahr. "Natürlich kann man sich Cortison spritzen lassen und die Vorstellung retten. Doch das ist ein Teufelszeug. Danach benimmt sich der Körper und eben auch die Stimme einen Monat lang komisch." Ist die Stimme erst einmal überlastet, können einen Stimmlippenknötchen schachmatt setzen. "Man kann sie operativ entfernen lassen", weiß Garza Rodríguez. "Aber das geht nur in 50 Prozent der Fälle wirklich gut. Wer es sich leisten kann, sollte lieber ein Jahr pausieren und die Stimme schonen."

Deshalb habe er großen Respekt vor allen Kehlkopfvirtuosen: "Ich bewundere Sänger. Mignon Dunn sagte immer: ,Sei gut zu ihnen. Was sie machen, ist so stressig, so heikel, so exponiert.'" Deshalb könne er sogar verstehen, wenn Sänger rauchten. "Natürlich ist das nicht gut für die Stimme, aber viele brauchen eine Kompensation."

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Allen Goldkehlchen, die gern als "The Voice of Germany" oder "Supertalent" in die TV-Geschichte eingehen möchten, rät Rolando Garza-Rodriguez zur Stimmbildung. "Wenn man jung ist, kann man auch mal schreien und die Stimme strapazieren – am nächsten Tag ist alles wieder da. Doch mit 27, 28 Jahren merkt man dann, es geht nicht mehr. Dann ist es gut, wenn man weiß, wie man Ergebnisse mit minimalem Aufwand erzielt, wie man ökonomisch singt und trotzdem einen ganzen Saal beschallt. Außerdem lernt man enorm viel über Musik." Denn wie sagte schon Luciano Pavarotti: „Ohne Stimme ist man nichts, mit Stimme ist man längst noch nicht wer...“

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