Blumenthal. Die Historische Achse der ehemaligen Bremer Wollkämmerei ist am Wochenende zum zweiten Mal zur Straßentheaterbühne geworden. La Strada hat in diesem Jahr sogar gleich an zwei Tagen auf das "große" Festival nächste Woche in der Bremer City eingestimmt. Die fünf Blumenthaler Spielorte wurden von jeweils bis zu 500 Besuchern umlagert. Wer die wichtigsten der zehn Künstler und Gruppen einmal alle sehen wollte, musste rund vier Stunden Zeit mitbringen.
Oskar hat es nicht einfach: Denn wer eine Eisenbahn betreibt, braucht Personal, selbst wenn es nur eine aus Holz ist. Kurzerhand überredet er sein halbes Publikum, Aufgaben zu übernehmen. Und so entdeckt eine junge Frau ihre Fähigkeiten auf der Ukulele, ein paar Kinder werden sozusagen zum Gleisbett. Nach Hin und Her dampft mit der entsprechenden Geräuschkulisse aller zumindest kurz einmal die kleine rote Lok über die Holzgleise. Das ist Straßentheater auf seinen faszinierenden Kern reduziert: Es kann jeden treffen, der sich auf solch ein Festival verirrt. Schon ist man Akteur und nicht nur Zuschauer. Die Schadenfreude der Nebenleute ist so lange garantiert, bis sie selber drankommen.
Die Blumenthaler sind am Sonnabend pünktlich um 15.45 Uhr auf das glühende Kopfsteinpflaster gekommen, um sich sogar den Auftritt der Offiziellen rund um Ortsamtsleiter Peter Nowack anzusehen. Der sagt schon einmal vorauseilend, dass er "La Strada entdeckt den Bremer Norden" auch 2019 gerne auf der historischen Meile sehen würde. Lutz Hößelbarth von Weserevents hat zusammen mit Frederieke Behrens von La Strada eifrig am Konzept geschraubt und das Spektakel auf zwei Tage ausgedehnt. Besucher erhalten so die Chance, ihre Lieblingsshow bis Sonntag um 19.30 Uhr bis zu vier Mal anzusehen.
Wobei Sonnabend die Hauptbühne schon eine halbe Stunde vor der Akrobatikshow von "Tonnection" dicht umlagert ist. Clara Groeger und Christine Thevissen gehen herum und versuchen, die Fans in den Schatten umzulagern. Ohne Erfolg. Mit Sonnenstich hat dann das folgende Dauergekicher der Zuschauer aber wenig zu tun. Die beiden Verrenkungskünstlerinnen sind in Spiellaune: Es geht um nicht mehr oder weniger als um die Frage, wer denn nun Platz findet in der Tonne. Man kann sich ja über alles streiten, selbst wenn es nur eine blaue Tonne ist: Muskelspiele, Sching-Schang-Schong, Kämpfe, eine Wiederbelebung. All das stellen die Frauen ohne Worte dar, um dann am Ende eben doch beide Platz in der Tonne zu finden. Kein Schelm, wer darin nicht eine Gesellschaftsparabel erkennt.
Danach geht es das erste Mal um die Frage, ob die Kinder der beiden Künstlerinnen an diesem Abend Essen bekommen können und ob aus einer ganz kleinen Tonne mittels Eurobanknoten nicht bald eine große Tonne werden könnte. Auch das Hutgeldkonzept geht in Blumenthal auf, wird Frederieke Behrens von La Strada am Sonntagnachmittag feststellen: "Ich hatte auf jeden Fall noch keine Künstler hier bei mir, die sich in diese Richtung beschwert haben."
Nach einer Show praktisch ohne Worte übernimmt mit dem Jongleur, Zauberer und Leiterakrobaten Jens Ohle eine echte Sabbelstrippe: Ein Zimmermann und ein Ingenieur werden vollgetextet, während wahlweise Fackeln und Keulen fliegen. Eine frisch schanghaite Assistentin soll ihm gar eine Keule zwischen die Zähne werfen, während er oben auf der Leiter steht.
Bernhard Massuir schafft es danach mit Hilfe seiner Loop-Box mit nur einer Stimme den Sound einer kompletten A-Capella-Band zu kreieren. Klaus Tietze aus Grohn sitzt in der ersten Reihe und darf auch noch mitsingen. Der Belgier bekommt immer wieder begeisterten Applaus. Klaus Tietze: "Ich habe vier Shows gesehen und war von zweien komplett begeistert. Dieser Kopfstimmenmann Bernard Massuir ist total genial." Er rät außerdem dringend zum Besuch der schrägen Show der "Company La Tal".
Ein Zirkuswagen wird von ziemlich schrägen Zeitgenossen enthüllt: "The Incredible Box" enthält eine Menschenkanone gewaltigen Kalibers. Ein paar ältere Besucher räumen fluchtartig das Schussfeld und schaffen unversehens Platz für Nachrücker. Der todesmutige Pilot muss dann doch sehr robust von seinem Zirkusdirektor überredet werden sich in das Kanonenrohr zu stürzen.
Die spanisch-britische Formation klamaukt die Nummer uralter Wildwestshows. Wie durch ein Wunder haben am Ende alle überlebt – auch die Zuschauer. Mitveranstalter Hößelbarth schwärmt am Sonntag noch von dem belgischen Straßenkünstler "This Maag" und der Truppe "Tanzbar Bremen". Er würde sich wünschen, dass es auch in 2019 ein "La Strada entdeckt den Bremer-Norden" gibt. Frederieke Behrens hat während der zwei Tage in Blumenthal auch nichts erlebt, was sie davon abhalten würde: "Wir setzen uns nach La Strada mal in Ruhe zusammen. Dann schauen wir, ob wir alle Partner überzeugen können, das hier fortzusetzen."