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Altverfahren sollen bis 2020 erledigt sein Landgericht Bremen wird verstärkt

Der Senat will das Bremer Landgericht um zwei Kammern verstärken, die ausschließlich unerledigte Altfälle abarbeiten sollen. In einigen dieser Verfahren droht bereits die Verjährung der Tatvorwürfe.
30.06.2018, 16:42 Uhr
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Landgericht Bremen wird verstärkt
Von Jürgen Theiner

Am Landgericht kann im Herbst mit dem Abbau von älteren Strafverfahren begonnen werden. Der Senat wird voraussichtlich am Dienstag beschließen, sechs neue Richter, zwei Staatsanwälte, drei Justizwachtmeister sowie zusätzliches Servicepersonal einzustellen. Bis 2020 kostet diese Aufstockung rund 1,7 Millionen Euro.

Mit dem Geld können eine zusätzliche Wirtschaftskammer und eine Große Strafkammer eingerichtet werden, die keine aktuellen Fälle auf den Tisch bekommen, sondern ausschließlich den Berg lange anhängiger Verfahren abarbeiten sollen. Die ältesten sind Wirtschaftssachen, bei denen die Staatsanwaltschaft bereits im Jahr 2011 Anklage erhoben hatte.

Derzeit liegen am Landgericht 82 Fälle auf Halde, die älter als zwei Jahre sind, davon 28 Wirtschaftsstrafsachen. Die Strafkammern am Landgericht sind für Verfahren zuständig, bei denen die Straferwartung oberhalb von vier Jahren Freiheitsentzug liegt, also für die Schwerkriminalität.

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Dass die Bremer Richter ihr Pensum schon lange nicht mehr schaffen und zum Teil auch spektakuläre Kriminalfälle seit Jahren unbearbeitet geblieben sind, hatte zuletzt auch im politischen Raum mehr und mehr für Kritik gesorgt – etwa im Fall des prügelnden Mobs, der im Jahr 2013 über Bauarbeiter in der Neustadt hergefallen war. Diese Gewaltorgie ist seit fünf Jahren ungesühnt.

Justizsenator Martin Günthner (SPD) hatte im Herbst vergangenen Jahres deutlich gemacht, dass er vor einer Entscheidung über die Einstellung zusätzlichen Personals geklärt wissen wolle, ob die Ursachen für die immer größeren Rückstände am Landgericht möglicherweise auch struktureller Art sind. Denn Vergleiche mit anderen Landgerichten hatten ergeben, dass die Arbeitsbelastung Bremer Richter durchaus nicht höher ist als in anderen Bundesländern.

Zudem brachten zurückliegende Personalaufstockungen keine Verbesserungen. Hatte der Eingang neuer Fälle zwischen 2012 bis 2017 um 38 Prozent zugenommen, so stand dem ein Anstieg der Richterstellen in den Strafkammern des Landgerichts von 15 auf 21 und damit um 40 Prozent gegenüber. Gleichwohl wuchs die Halde unerledigter Verfahren weiter an.

Keine ausreichende inhaltliche Spezialisierung

Stimmt also etwas grundsätzlich nicht mit der Art und Weise, wie das Bremer Landgericht arbeitet? Günthner bat den früheren Osnabrücker Landgerichtspräsidenten Antonius Fahnemann, den Dingen auf den Grund zu gehen. Wie berichtet, legte der Experte im Mai einen Bericht vor, in dem er einige Ursachen für die Misere namhaft machte. So gebe es keine ausreichende inhaltliche Spezialisierung der Strafkammern.

Außerdem seien bei der Geschäftsverteilung zwischen den Kammern die Umfänge der jeweiligen Verfahren nicht ausreichend berücksichtigt. Das soll nun besser werden, und das muss es auch, wie Fahnemann Mitte Mai im Rechtsausschuss der Bürgerschaft deutlich machte: "Entweder es wird jetzt reagiert, oder es geht in Dimensionen, was die rückständigen Verfahren anbelangt, die nie wieder eingeholt werden können."

Es gehe hier um die Organisation eines Gerichtes, nicht einer Firma. "Eine Firma kann sagen, es liegen genügend Aufträge vor, wir nehmen keine mehr an. Ein Schwurgericht kann nicht sagen, es liegen 15 Morde vor und der 16. kann nicht mehr verhandelt werden", so Fahnemann.

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Auf der Grundlage seiner Empfehlungen soll nun also mit dem Abbau der Altfälle begonnen werden. Besonders dringlich ist dies offenbar bei einigen Wirtschaftssachen, bei denen "andernfalls die Verjährung von Tatvorwürfen droht", wie es in der Senatsvorlage für den kommenden Dienstag heißt. Neben der Bildung zweier zusätzlicher Kammern sollen auch organisatorische Verbesserungen Fortschritte bewirken.

"Die Empfehlungen des Berichts werden von der Richterschaft positiv aufgenommen; deren Umsetzung hat teilweise schon begonnen", steht in dem Papier. So ist inzwischen die Geschäftsleitung des Landgerichts neu besetzt worden. Ende des Jahres soll dem Rechtsausschuss ein detaillierter Sachstandsbericht vorgelegt werden.

Fünf Jahre warten auf ein Urteil

Die Justizbehörde geht davon aus, dass der Stapel der Altfälle innerhalb von etwa zwei Jahren abgebaut sein wird. Danach könne das außerplanmäßige Personal allmählich wieder reduziert werden. Bei einem Personalbestand von derzeit rund 145 Beschäftigten sei das über altersbedingtes Ausscheiden, Elternzeiten und Versetzungen "ohne weiteres darstellbar", schreibt die Justizbehörde in ihrer Vorlage für die Senatssitzung.

Keinen Hinweis gibt es in dem Papier, ob über kurz oder lang auch etwas gegen den Verfahrensstau bei zivilrechtlichen Verfahren getan werden soll. Das Landgericht ist erstinstanzlich zuständig für alle Rechtsstreitigkeiten zwischen natürlichen oder juristischen Personen, bei denen der Streitwert über 5000 Euro liegt.

Das kann beispielsweise eine erbrechtliche Auseinandersetzung sein oder die Forderung nach Schadenersatz bei einem ärztlichen Kunstfehler. So berichtete der WESER-KURIER vor einiger Zeit über den Fall einer Rentnerin aus Bremen-Nord, die zu diesem Zeitpunkt bereits fünf Jahre auf ein Urteil des Landgerichts in einer Auseinandersetzung mit ihrem Zahnarzt gewartet hatte.

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