In der forensischen Psychiatrie auf dem Gelände des Klinikums Bremen-Ost arbeiten über 170 Menschen mit einer fast ebenso großen Anzahl an Patienten. Das kostet viel Geld - und lohnt sich, sagt der Chefarzt.
Es ist schon ein mulmiges Gefühl, das beim Eintreten aufkommt: Panzerglas, ein Metalldetektor wie auf dem Flughafen, Kameras und Sicherheitspersonal. So sieht der Eingangsbereich in der forensischen Psychiatrie auf dem Gelände des Klinikums Bremen-Ost aus. Hier arbeiten über 170 Menschen mit einer fast ebenso großen Anzahl an Patienten, die zum Teil im offenen Maßregelvollzug behandelt werden.
Von außen dagegen fällt das Gebäude kaum als speziell gesicherte Einrichtung auf. Kein Stacheldraht und keine massiven Metallzäune – einzig eine etwa vier Meter hohe Mauer in einem eher freundlichen Gelbton, die das Außengelände einfasst, deutet hier diskret auf besondere Sicherheitsmaßnahmen hin. „Es ist Teil der Realität, dass unsere Patienten gerne ausgeblendet und versteckt werden sollen, deswegen sind wir froh, dass wir hier eine Einrichtung auf dem Klinikgelände ohne Stacheldraht haben“, erklärt Chefarzt Friedrich Schwerdtfeger dem Fachausschuss Inneres des Beirats Osterholz, der zu einer Sitzung in die Klinik eingeladen hatte.
Forensische Psychiatrie – auch Maßregelvollzug genannt – bedeutet, dass hier Menschen untergebracht sind, die wegen Straftaten, die sie aufgrund psychischer Krankheiten oder Drogensucht begangen haben, in Behandlung sind. Im Unterschied zum normalen Strafvollzug, in dem die Inhaftierten eine Strafe absitzen, ist das Ziel des Maßregelvollzugs die Behandlung der Ursachen der Tat. „Wir sollen die Menschen gesund machen – das ist unser klassischer Auftrag“, sagt Friedrich Schwerdtfeger. Und das lässt sich die Stadt Bremen etwas kosten: mit etwa 350 Euro pro Tag und Patient geben Pflege- und Klinikleitung die Kosten an. Die Klinik belegt derzeit 136 Betten.
Die Delikte, wegen derer die Patienten im Maßregelvollzug sind, reichen von Serienvergewaltigung, Serienmord, Mord über Sexualstraftaten und Pädophilie. Aber auch Serieneinbrüche und Raubüberfälle aufgrund von Beschaffungskriminalität gehören zu den begangenen Taten.
Auch Daueraufenthalt
Für Eingewiesene, die aufgrund einer psychischen Krankheit eine Straftat begangen haben, gilt, dass nur derjenige entlassen werden kann, von dem keine Gefährdung mehr ausgeht. „Der Aufenthalt im Maßregelvollzug ist nicht zeitlich begrenzt“, erklärt Friedrich Schwerdtfeger zu diesen Fällen. Jedes Jahr komme es aber zu einer gerichtlichen Anhörung, ob eine Unterbringung noch nötig sei. „Das ist jedes Mal ein kleines Gerichtsverfahren, bei dem dem Patienten ein Anwalt zur Seite steht“, erklärt Friedrich Schwerdtfeger. Alle fünf Jahre werde außerdem von einem externen Gutachter überprüft, ob die Einschätzung der Klinik den Tatsachen entspreche.
In Bremen gibt es für die Fälle, für die nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie eine Gefährdung für die Allgemeinheit darstellen, die sogenannte „Longstay“-Station (Daueraufenthalt). Von ihrem Interieur her macht die Einrichtung den Eindruck einer normalen Klinikstation. Doch wenn man gegen die Gläser im Aufenthaltsraum pocht, ist das Panzerglas zu spüren. Dieser Bereich ist für manche auch Endstation. Ein Patient in Osterholz lebt seit 34 Jahren dort. „Ohne Perspektive auf Entlassung“, sagt Friedrich Schwerdtfeger. Es verstürben auch zunehmend Menschen in der Klinik. „Alter spielt zunehmend eine Rolle bei uns, auch deswegen planen wir Umbauarbeiten“, berichtet der Chefarzt.
Um das Leben dieser Menschen etwas erträglicher zu machen, haben diese Patienten die Möglichkeit, einen speziell gesicherten Innenhof zu nutzen und ihr Patientenzimmer individuell zu gestalten. Ein Patient ist bereit, sein Zimmer zu zeigen: ein Bett, ein Kleiderschrank und ein Fernseher, ein paar Poster und Bilder – viel Platz im Zimmer gibt es nicht. Und man kann es sich nicht vorstellen, was es heißen muss, dauerhaft in dem begrenzten Raum der Station leben zu müssen.
Der Maßregelvollzug erlaubt auch massive Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Patienten, die bis zur Fixierung und Zwangsmedikation, zum Beispiel mit Psychopharmaka, reichen können. Mittel, die nur sehr selten in der Forensik in Bremen eingesetzt werden müssten. Man habe zwar weitgehende Eingriffsrechte, erklärt Friedrich Schwerdtfeger, „aber erst versuchen wir den Patienten umzustimmen, und wenn das nicht fruchtet, muss ein Gericht entscheiden. Dann stellen wir den Patienten mit dem Gerichtsbeschluss wieder vor die Wahl, und erst danach greifen wir zum Mittel der Fixierung und der Verabreichung“. In den vergangenen Jahren habe es aber nur zwei solcher Fälle gegeben, in denen eine Selbstgefährdung vorgelegen habe.
Auch Suchtkranke untergebracht
Etwa 20 Prozent der Patienten sind in Zusammenhang mit Suchtverhalten in der Klinik untergebracht. „Diese Patienten dürfen maximal zwei Jahre untergebracht werden“, erkärt Friedrich Schwerdtfeger. Bei diesen Patienten habe er in den vergangenen Jahren aber eine deutliche Veränderung beobachten können. „Es kommen zunehmend dissoziale Patienten zu uns, die uns den Klinikalltag erschweren.“ Zunehmend müssten auch Dealer untergebracht werden. „Und die ziehen die anderen mit rein“, sagt Friedrich Schwerdtfeger. Die Zunahme erklärt er damit, dass viele Patienten aus dem normalen Strafvollzug in den Maßregelvollzug geschickt werden – gegen eine Aufnahme wehren kann sich die Klinik nicht. Und noch ein Problem hat der Chefarzt: „Wir haben im Maßregelvollzug keine Möglichkeit zur Disziplinierung.“ Einzig Lockerungen könnten eine Zeit lang zurückgenommen werden.
Lockerungen sind die ersten Maßnahmen, die zu einer möglichen Entlassung führen können. In der Forensik in Bremen sind es acht Stufen, die vom begleiteten Hofgang bis zum Arbeiten und Wohnen außerhalb der Klinik reichen. Überhaupt sei der Übergang aus der Klinik in den Alltag sehr wichtig. „Wir haben in Bremen ein sehr gutes Netzwerk, und die Patienten werden zwischen drei bis fünf Jahren nach ihrer Entlassung weiterbehandelt.“ Mit der guten ambulanten Versorgung hätte man es auf eine Rückfallquote von nur sechs Prozent geschafft. „Es ist ein Erfolgssystem, und es lohnt sich Geld hineinzustecken“, betont Friedrich Schwerdtfeger.