Die Plattform Instagram steht für schöne Fotos von Alltagsmomenten, für Videos und für die Selbstdarstellung. Da passt es gar nicht, wenn jemand Bilder von vollen Müllsäcken hochlädt, von benutzten Masken, die auf dem Boden herumliegen, und schmutzigen Pizzakartons. Oder? Lisa Knief sieht das anders. Sie sammelt fast jeden Tag Müll von Bremens Straßen und Wiesen, wenn sie mit ihrem Terrier-Mischling Pepe spazieren geht und postet anschließend Videos und Fotos in den sozialen Medien – wie sie leere Trinkpäckchen mit einer Zange aufhebt oder wie sie einen Sack mit Plastikmüll von der Straße gefüllt hat.
Knief trägt eine verspiegelte Sonnenbrille, hat ihre Wimpern darunter getuscht und ein wenig Lippenstift aufgetragen. Sie ist eine junge Frau, die auf ihr Äußeres Wert legt, was sie auch in den sozialen Medien zeigt. Nur, dass sich ihre Bilder von denen anderer junger Frauen unterscheiden. „Müll ist hässlich, niemand guckt ihn sich gerne an“, sagt sie. Aber indem man ihn ästhetisch darstelle, könne man auch für das Problem sensibilisieren, meint sie. In ihren Posts verwendet sie häufig den Satz „Du machst einen Unterschied“ und ruft dazu auf, den Abfall im Mülleimer zu entsorgen. Manchmal veranstaltet sie kleine Mitmach-Aktionen wie die „Kronkorken-Sammel-Challenge“.
"Lise Lotte räumt auf"
Lisa Knief hat ihr Projekt „Lise Lotte räumt auf“ Ende vergangenen Jahres gestartet. Lise Lotte, das ist ihr Spitzname. Dreimal am Tag gehe sie mit dem Hund spazieren. Da seien ihr die Ecken immer häufiger aufgefallen, in denen sich der Müll häufte, erzählt sie. Eines Morgens sei sie aufgewacht und habe zu sich gesagt: „Es reicht mir jetzt. Es bringt nichts mehr, wenn man wütend auf die Menschen ist und traurig.“ Also sei sie losgezogen, in den Park gleich bei ihr um die Ecke in Arbergen. Sie habe sich eine Sackkarre und zwei blaue Müllsäcke geschnappt, Handschuhe angezogen und losgelegt. „Es ist unglaublich, was dort alles herumliegt. Alte Zimmerpflanzen, Spielsachen, Schuhe.“ Ab da habe sie immer eine Tüte dabeigehabt, wenn sie Gassi ging, und die Handykamera protokollierte das immer häufiger.
Inzwischen hat die 31-Jährige für ihr Projekt ein Logo gestaltet, weiße Schnörkel auf grünem Hintergrund, und es auf Jutebeutel gedruckt oder alte Konservendosen damit beklebt. Die hängt sie als „Kippendosen“ an Orte, an denen sie besonders viele Zigarettenstummel gesammelt hat. Dass sie stolz auf ihr Projekt ist, versteckt sie nicht.
Diese umsichtige Ader, die habe sie schon immer gehabt, sagt Knief. Nach dem Abi machte sie ein Freiwilliges Soziales Jahr bei der Obdachlosenhilfe, arbeitete bei einem Mentorenprojekt, bei dem sie sich um Kinder kümmerte, die Aufmerksamkeit gebrauchen konnten. Auch bei ihrer Berufswahl war es ihr nach eigener Aussage wichtig, etwas Soziales zu machen. Sie absolvierte zunächst eine Ausbildung zur Kauffrau für Marketingkommunikation in einer kleinen Textagentur. Inzwischen arbeitet sie beim SOS Kinderdorf und ist Ansprechpartnerin für Sachspenden. Kindeswohl, Tiere, Naturschutz; diese Themen hätten sie schon immer beschäftigt, sagt Lisa Knief.
„Ich bin nicht perfekt, und ich verkaufe mich auch nicht so.“ Trotzdem versuche sie, die Umwelt zu schonen und nachhaltig zu leben. Sie esse kein Fleisch und probiere, so viel wie möglich auf Verpackung zu verzichten, möglichst wenig Kunstfasern im Haushalt zu verwenden. Dafür fahre sie aber zum Beispiel wegen der Pandemie häufig mit dem Auto zur Arbeit. „Ich weiß, dass da noch Verbesserungspotenzial ist.“
Wenn sie in der Stadt unterwegs ist und sieht, dass jemand seinen Müll nicht aufhebt oder nicht in den Abfall wirft, spreche sie die Menschen an. „Ich versuche aber immer, positiv zu sein, und weise die Leute dann darauf hin, dass ihnen etwas runtergefallen ist.“ Sie wolle nicht den Moralapostel spielen, sondern auf ein Problem aufmerksam machen. Die meisten, die von ihrem Projekt wissen, unterstützten sie dabei, sagt Lisa Knief. Aber es gebe auch immer mal wieder Leute, die anders reagierten, die lachten oder komisch guckten, wenn sie Müll einsammelt.
„Natürlich bin ich auch oft frustriert und denke manchmal: ,Ich mach’ mich doch zum Affen." Besonders die Trinkpäckchen machen sie wütend. „Die sind so unnötig.“ Dabei gebe es viele Alternativen. „Aber solange es sie zu kaufen gibt, werden die Leute das auch weiterhin tun.“ Doch dann seien da Freunde und Bekannte, die ihr stolz schreiben, wenn sie auch etwas Müll gesammelt und durch sie damit angefangen hätten. „Das motiviert mich dann wieder.“
Die Gemeinschaft in Bremen, die sich für eine saubere Stadt einsetzt, werde immer größer, sagt Lisa Knief. Sie sei gut mit Aktivisten der Initiative "Clean Up Your City" Bremen vernetzt. „Aber ich möchte auch mein eigenes Projekt weiterführen, weil es mir wirklich Spaß macht.“
Für dieses Jahr hat sie dennoch eine große Gemeinschaftsaufgabe vor sich: Sie tritt als Teamleiterin für Bremen beim „World Cleanup Day“ an – ein weltweiter Aktionstag, bei dem die Umwelt von Müll befreit werden soll.