„Man kann es nicht immer erreichen, dass Barrieren beseitigt werden, aber es ist nicht hinzunehmen, dass Barrieren errichtet werden“, sagt Dieter Stegmann, der Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Selbsthilfe und meint das umgebaute Wall-Forum. Der Ende vergangenen Jahres abgeschlossene Umbau des Wall-Forums ist auf heftige Kritik gestoßen, weil die Stadtbibliothek für Rollstuhlfahrer umständlicher erreichbar ist und es auch Barrieren gibt, die für Sehbehinderte zum Problem werden können. Der Stadtteil-Kurier berichtete nach der Eröffnung darüber.
Vor dem Umbau war die Stadtbibliothek durch zwei Rampen erreichbar, seit dem Umbau gibt es nur noch durch eine Zufahrt. Für Wolf Arne Frankenstein, den Vorsitzenden von Selbstbestimmt Leben, reicht das nicht aus: „Menschen, die noch zu Fuß oder mit dem Rollator unterwegs sind und für die die 15 Meter zur einzigen Rampe bereits viel sind, werden zu wenig beachtet.“ Und das ist nicht das einzige Problem: Treppenstufen haben unterschiedliche Höhen. Es fehlen Radabweiser, die verhindern sollen, dass Rollstuhlfahrer die Rampe herunterfallen. Und an der Treppe zum Baumhaus könnten sich Passanten den Kopf stoßen, wie der blinde Landesbehindertenbeauftragte Joachim Steinbrück und Martina Reicksmann, die Geschäftsführerin des Blinden- und Sehbehindertenvereins, kritisieren.
Nicht mit Situation abfinden
„Wir sind erst auf das Problem gestoßen, als der Umbau im Jahr 2014 bereits im vollen Gange war“, beklagt Dieter Stegmann. Im Oktober 2016 sei ein Widerspruchsverfahren gegen die Baugenehmigung erwirkt worden, das im März 2017 abschlägig beschieden worden sei. „Die Baubehörde sagt, sie habe alle Bauauflagen erfüllt“, sagt Stegmann. Doch die LAG Selbsthilfe, der Blinden- und Sehbehindertenverein und Selbstbestimmt Leben wollen sich damit nicht abfinden. „Wir haben gemeinsam mit dem Landesbehindertenbeauftragten beraten, wie wir mit diesem Bescheid umgehen sollen. Schließlich hat die Baubehörde auch einen Ermessensspielraum nach oben“, sagt Dieter Stegmann. Das Wall-Forum sei ein sehr gut besuchter öffentlicher Ort, und deshalb müssten dort auch die Belange behinderter Menschen berücksichtigt werden: „Das ist nicht passiert, und deshalb klagen wir.“
Anfang Juni haben die drei eine Verbandsklage eingereicht, um zu erreichen, dass das Wall-Forum barrierefrei wird. Die Klage soll Planer und Öffentlichkeit auch für die Problematik sensibilisieren: „Wir wollen hier einen Punkt setzen und sicherstellen, dass so etwas nicht mehr vorkommt und die Barrierefreiheit beachtet wird.“ Im Falle des Wall-Forums wollen die Verbände feststellen lassen, dass Mängel vorhanden sind. Diese Feststellungsklage soll dann zur Verpflichtungsklage umgestaltet werden, um die Baubehörde zur Änderung der Mängel zu bewegen.
Die Baubehörde beruft auf sich auf eine DIN-Norm, die bis 2014 und somit bei Beginn des Umbaus galt. Erst 2015 wurde eine neue Norm eingeführt, die umfassendere Barrierefreiheit vorsieht. Martina Reicksmann hat den Eindruck, dass im Wall-Forum Schönheit vor Sicherheit ging: „Ich stoße mir an den schrägen Stelzen des Baumhauses den Kopf, außerdem sind die Stelzen weiß und heben sich nicht vom Untergrund ab“, sagt sie. „Ich finde mich schwer dort zurecht. Ein Blindenleitsystem wäre hilfreich.“
Lösung vorgeschlagen
Die Baubehörde habe das Wall-Forum als „Sonderbau“ bezeichnet – dann könne man von Vorschriften abweichen, sagt Dieter Stegmann. „Aber gerade bei Bibliotheken müssten die Vorschriften dann doch höher gesetzt werden.“ Für den Landesbehindertenbeauftragten Joachim Steinbrück steht fest, dass das neue Regelwerk schon damals hätte umgesetzt werden können. „Das alte Recht geht zulasten behinderter Menschen, doch die Verwaltung kennt die neuen Regelungen anscheinend nicht.“ Es gebe viele Detailfragen, die Sensibilität erfordern, „und dieses Wissen ist meines Erachtens in der Baubehörde nicht da“. Der ehemalige Richter sieht politische Probleme bei der Herstellung gleichberechtigter Lebensanforderungen. „Politisch ist die Barrierefreiheit noch nicht durchgesickert. Daher ermutige ich die Verbände, ihre Verbandsklage durchzuführen. Die Baubehörde macht es sich zu einfach und glaubt, dass wir das Amtsblatt und die DIN-Vorschriften nicht lesen.“
Einig sind sich die Verbandssprecher, dass Barrierefreiheit das Wall-Forum aufwerten würde. Martina Reicksmann wünscht sich jedenfalls, „dass Architekten und Verwaltungen umdenken und dass es als normal betrachtet wird, dass Behinderte überall hinkommen.“ Die wenig sichtbaren Treppenstufen sind auch für Nichtbehinderte ein Problem, weiß der Gastronom Alireza Kordi vom „La Uva“. „Ältere Menschen, jüngere Menschen und selbst ich bin zu Anfang hier gestürzt.“ Er hat eine Lösung vorgeschlagen: „Ich habe mal gesagt, dass man die Stufen mit LED-Lampen versehen könnte, das ist nicht teuer.“ Vergangene Woche sei nun ein „Vorsicht Stufe“-Schild aufgehängt worden, sagt er, doch vielleicht könne man ja auch Klebestreifen in Gelb oder Rot anstelle der derzeit schwarzen Markierungen anbringen.
Auch Barbara Lison, die Direktorin der Stadtbibliothek, hat immer wieder Beschwerden über fehlende Barrierefreiheit und die Stufen gehört: „Da uns aber das Haus nicht gehört, können wir auch nur ansprechen, dass wir über die Buchtstraße für Gehbehinderte nicht mehr zugänglich sind“, sagt sie, „doch die Eigentümer sagen, dass ein Eingang ausreicht mit dem Hinweis, die Architektur gebe eine andere Lösung nicht her.“
Als sie erfahren habe, dass dort Stufen anstelle einer Rampe eingebaut werden, habe sie darauf gedrungen, zumindest eine verschiebbare Rampe zu installieren – erfolglos. „Ich finde die Lösung nicht glücklich, und wir können nur immer wieder darauf hinweisen“, sagt Barbara Lison, „und das haben wir seit Beginn der Planung getan.“