Politisch ist der Zug eigentlich abgefahren: Bremen soll – wenn überhaupt – Standort für den klinischen Teil eines Medizinstudiums werden. Lediglich dafür hatte die Bürgerschaft nach langen Debatten einen Prüfauftrag beschlossen. Mit dieser abgespeckten Variante wollen sich Ärzte, Forscher und die Stiftung Bremer Wertpapierbörse aber nicht zufrieden geben. „Die Politik hat zwar entschieden, dass ein komplettes universitäres Medizinstudium aus finanziellen Gründen nicht machbar sei. Wir glauben aber, dass Bremen dadurch große Chancen vergibt – im Wettbewerb um Ärzte und für den Wirtschaftsstandort Bremen“, sagt der Vorstand der Stiftung, Axel Schubert. „Das wollen wir ändern.“
Bei einer Absichtserklärung will es die Stiftung, die bereits mehrere Projekte im Gesundheitsbereich finanziell gefördert hat, nicht belassen. Am Donnerstag stellte sie ein Konzept vor, das mit dem Titel „Medizincampus Bremen“ überschrieben ist und dessen Ziel der schrittweise Aufbau einer Universitätsmedizin im kleinsten Bundesland ist. Als Experten hat die Stiftung mit Reto Weiler einen Mann vom Fach ins Boot geholt: Der gebürtige Schweizer war Vizepräsident der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Mitinitiator der länderübergreifenden European Medical School Oldenburg-Groningen, und er war Mitglied im Gründungsausschuss der Medizin an der Universität Augsburg.
Verzahnung von Praxis und Theorie
Weiler sagt: „Das Satellitenmodell, das der Senat im Auge hat und bei dem andere Medizinfakultäten ihre Studierenden lediglich für die klinische Ausbildung in Bremer Krankenhäuser schicken sollen, hat aus mehreren Gründen keine Zukunft.“ Gewichtigster Grund sei, dass der Masterplan Medizin 2020 – die Reform des Studiengangs Medizin – künftig eine Verzahnung von vorklinisch-theoretischem und klinischem Wissen vorsehe. Die Studierenden sollen demnach viel früher klinische Praxis erfahren und stärker mit Patienten in Berührung kommen. „Dies bedeutet, dass die klassische Vorklinik-Klinik-Einteilung wegfallen wird. Neue und moderne Fakultäten setzen dies bereits um, und die meisten universitären Standorte werden sich dem anpassen. Bremen will aber offenbar die Gegenspur nehmen, das ist einer der ungünstigsten Wege", sagt Weiler.
Die Modellstudie sieht drei Stufen vor: Im ersten Schritt sollen universitäre und medizinnahe Forschungseinrichtungen in Bremen wie das Fraunhofer-Institut Mevis oder das Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie sowie Krankenhäuser mit ausgewiesener klinischer Forschung in einem Netzwerk gebündelt werden. Der nächste Schritt wäre eine Mitgliedschaft der Universität Bremen in der European Medical School Oldenburg-Groningen mit ihren derzeit 40 Studienplätzen. Dadurch würden die akademischen Voraussetzungen für die Ausbildung von Medizinstudierenden in Bremen geschaffen. Weiler: „Diese Strukturen gibt es bereits, sie müssen nur zusammengeführt werden. Und am Ende werden die an der Lehre beteiligten und in der Forschung ausgewiesenen Kliniken zu einem Universitätsklinikum Bremen zusammengefasst.“
An der European Medical School Oldenburg-Groningen stünden die Türen für Gespräche über eine solche Kooperation offen, betont der Medizinexperte. Wissenschaftsstaatsrat Tim Cordßen (SPD) hatte in der vergangenen Woche in der Bürgerschaft erklärt, dass die Universität Oldenburg mit ihrem Studiengang Humanmedizin als Partner für eine klinische Ausbildung in Bremen ausgeschieden sei. Gespräche mit der Hochschule und dem niedersächsischen Wissenschaftsministerium hätten ergeben, „dass dort zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Möglichkeiten für ein gemeinsames Medizinstudium gesehen werden“. Weiler dagegen ist überzeugt: „Bei einem gemeinsamen Konzept Medizincampus Bremen mit der European Medical School, in dem Bremen Partner eines Vollstudiums wäre, ist die Situation eine andere.“
Bleibt die Frage der Finanzierung: Die Kosten für die Einrichtung eines kompletten Medizinstudiengangs bei einem Bremer Alleingang waren in einer gemeinsamen Sitzung des Wissenschaftsausschusses und der Gesundheitsdeputation Ende Februar auf eine dreistellige Millionenhöhe beziffert worden. In Oldenburg mit den aktuell 40 Plätzen liegen sie laut Weiler bei etwa zehn Millionen Euro im Jahr. „Ziel ist natürlich eine Aufstockung der Plätze. Es ist klar, dass dies kein billiges Projekt ist, wenn man etwas Gutes haben will. Aber die Kosten sind im Verbund kalkulierbar.“ Der Medizinexperte schätzt den Zeitraum, bis die ersten Nachwuchsärzte ihr Studium in Bremen aufnehmen könnten, auf zwei Jahre.
Die Ärzte in spe würden an drei Standorten lernen – in Bremen, Oldenburg und Groningen. „Das ist auch deshalb attraktiv, weil die Niederlande bei der Gesundheitsversorgung in vielen Dingen weiter sind“, betont Weiler. Die Stiftung fördere das Projekt, um den Gesundheitsstandort Bremen zu stärken: „Die Krankenhäuser haben große Nachwuchsprobleme, die besten Mediziner zieht es oftmals in andere Städte, an renommierte Kliniken. Wir hoffen, durch die Modellstudie einen öffentlichen Diskurs über den Medizinstandort Bremen anzufachen“, sagt Vorstand Schubert.