Am Dienstag ist der Prozess gegen den Motorradfahrer, der im Juni 2016 einen Rentner getötet hat, in die entscheidende Phase gegangen. Gutachterberichte erweckten Zweifel an niederen Beweggründen des Angeklagten.
Mit den Berichten eines Unfallsachverständigen und eines psychiatrischen Gutachters ist der Prozess gegen Alperen T. am Dienstag vor dem Landgericht in seine entscheidende Phase eingeschwenkt. Der 24-Jährige hat im vergangenen Jahr mit seinem Motorrad einen Rentner totgefahren. Vor Gericht steht er wegen Mordes, doch nach den Aussagen der beiden Gutachter gerät diese Anklage ins Wackeln.
Der Verkehrssachverständige bestätigte zunächst, dass der Angeklagte zu schnell unterwegs gewesen sei. Auf 97 bis 108 Stundenkilometer beziffert er die Geschwindigkeit kurz vor dem Unfall an einer Kreuzung in Walle. Als der Motorradfahrer zwei Sekunden vor der Kollision reagiert und gebremst habe, sei er noch zwischen 48 und 53 Meter von dem Fußgänger entfernt gewesen – zu dicht, um bei dieser Geschwindigkeit noch rechtzeitig zum Stehen zu kommen. Bei Tempo 50 hätte der Anhalteweg bei einer Vollbremsung nur etwa 27 Meter betragen, erläuterte der Gutachter. „Genügend Platz, um den Unfall zu vermeiden.“
Eine unangenehme Rechnung für den Angeklagten, doch dass er am Abend des 17. Juni zu schnell gefahren ist, hat er nie bestritten. Wesentlich bedeutender für ihn waren deshalb am Dienstag die Aussagen des Gutachters zu einem weiteren angeblichen Unfall. Die Staatsanwaltschaft wirft Alperen T. vor, bereits kurz vor der tödlichen Kollision mit dem Rentner beim Überholen eines Pkw dessen linken vorderen Blinker abgefahren und dann Fahrerflucht begangen zu haben. Hieraus leitet die Anklagebehörde eines von zwei Mordmerkmalen in diesem Fall ab, die „Verdeckungsabsicht“.
Sachverständiger äußert Zweifel an Zeugenaussage
Der Verkehrssachverständige betonte dagegen, dass er einen Kontakt zwischen Motorrad und Pkw nicht nachweisen könne. „Ich habe da nichts.“ Zugleich meldete er erhebliche Zweifel an der Zeugenaussage des Pkw-Fahrers an. Der geschilderte Verlauf des Unfalls, die Angaben zu den gefahrenen Geschwindigkeiten – „das ist alles sehr diffus und passt irgendwie nicht zusammen“. Hinzu käme, dass die Beschädigungen links vorne am Pkw zweifelsfrei von vorherigen Unfällen her rührten. Auch die Blinkleuchte habe sich nicht mehr in ihrem Ursprungszustand befunden, sondern sei nur „irgendwie reingesteckt“ gewesen.
Der Pkw-Fahrer, der hierzu am Dienstag ebenfalls als Zeuge gehört wurde, sprach nur bruchstückhaft Deutsch und hatte große Schwierigkeiten, die ihm gestellten Fragen zu verstehen, geschweige denn zu beantworten. Der 50-Jährige verwickelte sich mehrfach in Widersprüche, blieb aber dabei, dass der Motorradfahrer ihm den Blinker abgefahren habe. Das Motorrad habe dadurch kurz gewackelt und der Angeklagte habe sich auch zu ihm umgedreht, sei dann aber davongerast.
Der Gutachter dagegen schloss eine Berührung des Motorrades mit dem Pkw aus. Er könne sich allenfalls vorstellen, dass der Angeklagte den Blinker im Vorbeifahren mit dem Knie berührt habe. Dies allerdings hätte er dann bemerken müssen.
Psychologe entlastet Angeklagten
Blieb das zweite Mordmerkmal, das die Staatsanwaltschaft ins Feld führte, die niederen Beweggründe: Alperen T. habe sich mit seiner Raserei den besonderen Kick verschafft, seine Adrenalinsucht habe über allem gestanden. Doch der Psychologe machte keine Auffälligkeiten oder gar Persönlichkeitsstörungen bei dem Angeklagten aus. Die Suche nach dem ultimativen Kick habe es bei ihm nicht gegeben. Im Gegenteil: „Sein Bedürfnis nach solcher Stimulation ist eher unterdurchschnittlich ausgeprägt.“
Auch in Sachen Empathiefähigkeit entlastete der Psychologe den 24-Jährigen: „Im normalen Spektrum, ich habe ihn nicht als emotionslos empfunden.“ Die Frage des Verteidigers, ob er den Eindruck habe, dem Angeklagten sei ein Menschenleben egal, beantwortete der Psychologe unmissverständlich: „Nein.“
Wenig überraschend mutete angesichts dieses Prozessverlaufs die abschließende Ankündigung des Vorsitzenden Richters Seifert an, das Verfahren eventuell schneller als geplant zu beenden. Bislang waren der 31. Januar für die Plädoyers von Staatsanwalt und Verteidigung vorgesehen sowie der 13. Februar für das Urteil. Eventuell werde auch das Urteil schon am 31. Januar verkündet, erklärte Seifert nun. Auch dies klingt weniger nach der komplizierten Begründung einer Verurteilung wegen Mordes als vielmehr nach einer fahrlässigen Tötung im Straßenverkehr.