Frau Smirnova, wie reagieren die Leute, wenn Sie erzählen, dass Sie in Wuhan waren und gerade aus der Quarantäne kommen?
Kristina Smirnova: Manche kümmert das gar nicht, ihnen ist klar, dass ich gesund bin und mich nicht mit dem Coronavirus infiziert habe. Andere machen sich wirklich Sorgen, dass sie sich bei mir anstecken könnten.
Woran merken Sie das?
Ich hatte mich zum Beispiel in dieser Woche mit einer Freundin verabredet. Sie hat unser Treffen verschoben, weil sie befürchtet, dass die Inkubationszeit des Virus doch länger sein könnte, als bislang bekannt ist.
Wie gehen Sie mit solchen Reaktionen um?
Meine T-Shirts der Universität mit dem Wuhan-Schriftzug lasse ich gerade lieber im Kleiderschrank. Damit würde ich die Leute vergraulen. Ein bisschen befremdlich ist es schon, aber in der Quarantäne sind wir darauf vorbereitet worden.
Worauf?
Dass die Leute hier verunsichert sind und viel Unwissen herrscht. Nach den zwei Wochen in Quarantäne habe ich von den Behörden einen Beleg bekommen. Darauf steht, dass ich gesund bin. Das Schreiben habe ich mehrfach ausgedruckt, ich habe es immer dabei. Wenn mir jemand doof kommen sollte, kann ich das Papier vorzeigen. Und zu meiner Freundin habe ich gesagt: In Ordnung, dann treffen wir uns eben eine Woche später. Mich strengt es an, das Virus ständig erklären zu müssen. Lieber versuche ich, Verständnis für die Verunsicherung der anderen aufzubringen.
Wie war das für Sie, als Wuhan abgeriegelt worden ist?
Es war wirklich wie in einem Film. Ich habe die Stadt nicht wiedererkannt. Plötzlich hat sich Wuhan nicht mehr wie die laute und grelle Elf-Millionen-Metropole angefühlt, sondern wie eine verlassene Zwillingsstadt aus einem anderen Universum. Ich habe den Campus der Universität noch ab und an verlassen, um in den Supermarkt zu gehen, aber in der restlichen Stadt lag das Leben lahm.
Zehn Tage später sind Sie ausgeflogen worden. Was bedeutet das eigentlich: zwei Wochen Quarantäne?
Wir waren in einer Kaserne der Bundeswehr in der Südpfalz untergebracht, jeder hatte sein eigenes kleines Zimmer. Man muss sich das wie Stubenarrest vorstellen. Wir durften ein paar Meter vor die Tür gehen, mehr nicht. Viel war nicht los. Jeden Tag Sonntag, zwei Wochen Nirwana.
Bekommt man da nicht einen Lagerkoller?
Vielen ist das passiert. Es gab unter den 120 Rückkehrern auch einige, die sich in ihren Zimmern verkrochen haben. Aus Angst, sich irgendwie anzustecken.
Hatten Sie diese Angst auch?
Ich bin abends mit dem Gedanken ins Bett gegangen, was ist, wenn sich doch jemand angesteckt hat und wir hier deswegen alle noch zwei weitere Wochen sitzen? Für mich war es trotzdem keine Option, nur auf meinem Zimmer zu hocken. Zwei Wochen können sehr lang werden, wenn man permanent verunsichert ist.
Was haben Sie dagegen unternommen?
Man muss sich irgendwie beschäftigen, also habe ich mir Routinen überlegt, die den Tag strukturieren. Mir hat Yoga geholfen. Ich habe viel gezeichnet und telefoniert. Auch Fernsehen und Internet waren unglaublich wichtig, eine gute Ablenkung. Und abends habe ich mich bei Bier und Wein mit den anderen in der Kaserne unterhalten. Wir haben ja eine Gemeinsamkeit: Alle sind während des Ausbruchs des Virus in Wuhan gewesen. Die Geschichten dahinter, warum die Leute dort gewesen sind, waren sehr unterschiedlich, das war ziemlich spannend.
Was haben Sie in Quarantäne gelernt?
Mir ist klar geworden, wie wichtig Geduld ist. Dass man ruhig bleiben sollte, selbst in ungewissen Momenten. Und dass ich in der Lage bin, solche Situationen auszuhalten.
Jetzt sind Sie zurück in Bremen. Wie geht es Ihnen damit?
Noch fällt es mir schwer, mich wieder in den Alltag einzufinden. Ich hatte schließlich nicht geplant, vorzeitig mit der Luftwaffe nach Hause zu fliegen. Ein Teil meines Gepäcks ist auch noch in Wuhan.
Sie haben also vor, demnächst nach China zurückzukehren?
Nein, mein Auslandssemester ist nun vorbei. Bald geht das Studium in Oldenburg weiter. Meine Masterarbeit steht an. Das nächste Semester könnte trotzdem gerne etwas weniger aufregend werden.
Das Gespräch führte Nico Schnurr.
Kristina Smirnova (33) studiert an der Uni Oldenburg. Ihr Auslandssemester hat die Bremerin in Wuhan verbracht, die Luftwaffe flog sie aus. Es folgten zwei Wochen in einer Bundeswehrkaserne in Quarantäne.