Welches Kind geht von sich aus in eine Beratungsstelle, um davon zu erzählen, dass seine Eltern sich schlagen, wenn sie streiten? Ein neues Angebot für Kinder, die häusliche Gewalt erleben, soll die Hemmschwelle senken, sich Hilfe zu holen. Beraterinnen und Berater wollen stärker in die Stadtteile gehen, betroffene Familien zu Hause besuchen und Kinder an vertrauten Orten in ihrer Umgebung beraten: Ein Gespräch könne zum Beispiel auf dem Schulhof oder in einem Jugendzentrum stattfinden, sagt Jana Rump, Leiterin des Kinderschutz-Zentrums Bremen.
Das neue Hilfsangebot, das im Fachjargon "aufsuchende Beratung" heißt, wird vom Kinderschutz-Zentrum aufgebaut. Die Beraterinnen und Berater wollen künftig stärker in die Stadtteile gehen und dort auch mit Kitas, Schulen, Jugend-Freizeitheimen und anderen Einrichtungen zusammenarbeiten, damit Kinder und Familien erfahren, dass es diese Hilfe für sie gibt. Auch für Bremen-Nord ist ein neues Angebot geplant.
"Wir wollen hinfahren und den Kindern an einem sicheren Ort ein Angebot machen", sagt Jana Rump. Das Beratungsgespräch solle an einem Ort stattfinden, an dem die Kinder sich wohl fühlen. Welcher Ort das sein könne, wollen die Beraterinnen mit den Kindern besprechen. "Wir hoffen, dass wir auf diesem Weg mehr Kinder erreichen", so Rump. Für viele Familien sei der Weg bis in die Innenstadt weit.
Kinder und Jugendliche, die selbst Gewalt erfahren oder Gewalt zwischen ihren Eltern miterleben, können sich selbst an das Kinderschutz-Zentrum wenden, aber auch Lehrer und Erzieherinnen können Kontakt zur Beratungsstelle vermitteln. "Wir erfahren auch über die Frauenhäuser, wo Kinder Gewalt erleben und werden vom Jugendamt informiert, wenn beispielsweise bei einem Polizei-Einsatz häusliche Gewalt bekannt wird", sagt Rump.
Kinder und Jugendliche während der Pandemie isoliert
Der Beratungsbedarf von betroffenen Kindern und Familien sei seit Jahren hoch, betont Carsten Schlepper, Vorsitzender des Kinderschutzbundes, der das Kinderschutz-Zentrum betreibt. In der Pandemie habe häusliche Gewalt zugenommen, viele Kinder und Jugendliche seien isoliert gewesen, so Schlepper: "Die Eröffnung des neuen Angebots kommt genau zum richtigen Zeitpunkt."
Für die aufsuchende Beratung sind laut Kinderschutz-Zentrum in diesem Jahr 370.000 Euro im Bremer Haushalt veranschlagt. Mit diesen Mitteln wurde das Beratungsteam bereits von drei auf sieben Fachkräfte vergrößert. Bis zu drei weitere Personen sollen Rump zufolge noch eingestellt werden, so dass künftig insgesamt zehn Beraterinnen und Berater in den Stadtteilen unterwegs sein könnten.
Initiatorin des neuen Angebots ist Sahhanim Görgü-Philipp, sozialpolitische Sprecherin der Grünen. Sie hatte sich seit 2018 dafür eingesetzt, eine Interventionsstelle mit aufsuchender Beratung in Bremen aufzubauen. Sie sah sich ähnliche Hilfe-Systeme in Rostock an, auch eine Anhörung zum Thema fand in Bremen statt. Die Stadt formulierte schließlich eine Ausschreibung, auf die sich drei Träger bewarben – ausgewählt wurde das Kinderschutz-Zentrum. "Kinder brauchen schnelle, unbürokratische Ansprache, damit man sie nicht mit dem Erlebten alleine lässt und das Thema aus der Tabuzone holt", sagt Görgü-Philipp. "Wir warten nicht darauf, dass die Kinder zu uns kommen, wir suchen jetzt die Kinder auf." Damit werde eine große Lücke im Bremer Hilfesystem geschlossen.