Auf Sylt fürchtet man sich vor den Neun-Euro-Touristen, doch Bremen empfängt sie mit offenen Armen. Wenn es am 1. Juni losgeht mit den verbilligten Nahverkehrstickets für Reisen durch das gesamte Bundesgebiet, will sich die Hansestadt als Ziel insbesondere für Tagesausflügler und Kurzurlauber positionieren. Die Bremer Touristik-Zentrale (BTZ), die unter dem Dach der Wirtschaftsförderung WFB den Standort vermarktet, hat sich für eine entsprechende Kampagne ein Motto ausgedacht. Es lautet "Moin für neun".
Mit diesem Werbespruch hoffen die Bremer Tourismus-Profis, Besucher aus einem weit gefassten Einzugsgebiet anzulocken. Vielleicht nicht gerade aus dem tiefsten Bayern, "denn aus München wäre es mit Regionalzügen natürlich ein ganz schöner Ritt", sagt WFB-Sprecherin Maike Bialek. Aber den Norden und Nordwesten, Hessen und Nordrhein-Westfalen hofft man definitiv zu erreichen. Zum einen mit digitaler Ansprache. Die Website moin-fuer-neun.de ist bereits eingerichtet. Zurzeit leitet sie noch auf bremen.de weiter, aber ab Mitte kommender Woche soll sie detaillierte Angebote für die Zielgruppe enthalten. Und auch mit klassischer Plakatwerbung will der Bremen-Tourismus um Kundschaft werben. 250 Großplakate sind für das Hamburger Stadtgebiet gebucht, 100 für Hannover, 40 für Oldenburg. Auch Radio-Spots und Anzeigen in Tageszeitungen sind geplant.
Was erwartet nun die potenziellen Bremen-Touristen auf ihrem Trip? Im Bewusstsein, dass das Neun-Euro-Ticket eher Leute mit kleinem Geldbeutel ansprechen dürfte, bietet die BTZ ihr Pauschalpaket "Stadtmusikanten und Welterbe" den Ticketinhabern neun Prozent günstiger an. Ab 108,29 Euro können Reisende im Doppelzimmer übernachten, im Stadtmusikanten-Express durch die Innenstadt gondeln und sich im Ratskeller eine Portion Labskaus mit Knipp schmecken lassen.
Viele Anbieter von Freizeitaktivitäten ziehen mit. "Wir haben in den vergangenen Tagen 50 touristische Leistungsträger angeschrieben", berichtet Bialek. Der erste Rücklauf sei erfreulich. So hätten unter anderem der Schwarzlicht-Minigolfparcours und der "Hafenrummel" in der Überseestadt Vergünstigungen für die Neun-Euro-Touristen angekündigt; auch das Hafenmuseum, das Overbeck-Museum in Vegesack und das Schulmuseum gewähren Rabatte. Weitere Veranstalter könnten noch folgen. Die WFB-Sprecherin geht davon aus, dass die vergleichsweise hohe Zahl an kostenlosen, attraktiven Freiluftveranstaltungen während der Sommermonate ebenfalls für Bremen spricht. Breminale, La Strada, das Festival Maritim, das neue Stadtfest, die Summer-Sounds in der Neustadt – alles im Grundsatz zum Nulltarif.
Wird der Erfolg messbar sein? "Wir glauben jedenfalls, dass die Resonanz insbesondere bei Tagesgästen deutlich bemerkbar sein wird", zeigt sich Bialek optimistisch. Der Zuspruch der Neun-Euro-Touristen könne dazu beitragen, die derzeit noch geringen Zahlen bei Geschäftsreisenden und Messebesuchern zu kompensieren. Sie haben das Vor-Corona-Niveau noch nicht wieder erreicht.
Während Bremen also "Gäste mit jeglichem Geldbeutel" (Bialek) willkommen heißt, sieht das in manchen touristischen Hochburgen anders aus, insbesondere in den exklusiveren Urlaubsorten. Dort fürchtet man, buchstäblich überrannt zu werden von den Massen, die aus Nahverkehrszügen quellen. "Wir sehen die Insel nicht optimal (aus-)gerüstet für das Neun-Euro-Ticket und den damit verbundenen Ansturm“, hatte der Geschäftsführer des Sylt-Marketing, Moritz Luft, Anfang des Monats mitgeteilt.
Auch bei der Bahn fürchtet mancher, dass sowohl regulären Nutzern wie etwa Berufspendlern also auch den Käufern der Neun-Euro-Tickets der Spaß an der Reise schnell vergehen könnte. So rechnet beispielsweise der Vorsitzende der Bahngewerkschaft EVG, Klaus-Dieter Hommel, "mit Räumungen überfüllter Züge und wegen Überlastung gesperrten Bahnhöfen". Auch der Fahrgastverband Pro Bahn erwartet Kapazitätsengpässe. Für die Zeit von 1. Juni bis 31. August, in der das Neun-Euro-Ticket angeboten werden soll, verlangte er deshalb ein Mitnahmeverbot für Fahrräder.