Auch wenn inzwischen deutlich über die Hälfte der Bremer Bevölkerung vollständig geimpft ist: Die Kontaktnachverfolgung von Infektionsfällen bleibt nach Einschätzung des Gesundheitsressorts weiterhin das wichtigste Akut-Werkzeug im Kampf gegen die Pandemie.
Ein Einzelfall aus jüngster Zeit macht das deutlich: Ein mit Corona Infizierter hat sich demnach offenbar mehrere Tage lang mehrmals täglich in drei verschiedenen Fitnessstudios in der Stadt aufgehalten. Die Folge: Bis jetzt wurden 475 Betroffene als potenzielle Kontakte ermittelt. Davon gelten 105 Personen als vollständig geimpft oder genesen – aber die übrigen 370 mussten sich wegen einer einzelnen infizierten Person in Quarantäne begeben.
Ob die Betroffenen tatsächlich jeweils direkten Kontakt zu dem später positiv Getesteten hatten, wird vom Gesundheitsamt als unerheblich eingeschätzt. Entscheidend sei, dass man zum einen den direkten Kontakt nicht sicher ausschließen könne. Zum anderen habe die infizierte Person mutmaßlich über Stunden Aerosole in der Raumluft hinterlassen. Gerade mit der Delta-Variante reiche dies als Ansteckungsweg aus, auch ohne unmittelbare Begegnung.
Daher kamen alle Besucher und Besucherinnen der Studios, die sich zur gleichen Zeit plus 30 Minuten dort aufgehalten haben, für die Quarantäne infrage. "Es wird davon ausgegangen, dass die Aerosole für etwa eine halbe Stunde in der Luft erhalten bleiben", sagt Alicia Bernhardt, Sprecherin des Gesundheitsressorts.
So erklärt sich, warum trotz relativ niedriger Infektionszahlen die Zahl der Containment-Scouts für die Kontaktnachverfolgung im Gesundheitsamt unverändert hoch liegt. "Durch die Lockerungen haben die Scouts viel mehr Kontaktpersonen pro Fall zu ermitteln als im Winter und Frühjahr 2021", sagt Bernhardt.
Im Fall der Fitnessstudios konnten die Scouts die interne Besucherregistrierung des Studio-Betreibers nutzen. Geht es um Gäste von Restaurants und Kneipen müssen teilweise mehrere Quellen ausgewertet werden. Die meisten Gastronomen setzen zusätzlich zum Papierformular bei der digitalen Erfassung auf mehrere Apps parallel. Am häufigsten im Einsatz ist Bremen Gast als regionale Lösung der Bremer Gastro Gemeinschaft, die rund 2500 Betriebe nutzen; gefolgt von der bundesweit verbreiteten Luca-App, die in Bremen rund 2200 Gaststätten als Anwender nennt.
Je nach Betrieb und Publikum sorgt das für eine veränderte Zusammensetzung der Kontaktdaten. "Rund 70 Prozent laufen über die Bremer App, etwa 20 Prozent per Luca und zehn Prozent mit Stift und Papier", sagt etwa Racine Saupe, Projektmanagerin beim Lankenauer Höft. Anders das Traditions-Café Stecker mit seinen zwei Standorten in der Innenstadt. Hier überwiegt die Erfassung per Formular, weniger als die Hälfte der Gäste nutzt die angebotene Bremer App, schätzt man dort.
Ob sich Besucher aber überhaupt registrieren, wird von den Wirten unterschiedlich streng kontrolliert. Oliver Trey, Vorsitzender der Bremer Gastro Gemeinschaft, empfiehlt, erst nach einem Check-in – ob per App oder Zettel – die Speisekarten auszuhändigen. "Das mache ich im eigenen Laden so, das klappt gut."
Laut Innenressort kontrolliert der Ordnungsdienst während seiner Streifengänge stichprobenartig die Erhebung der Daten zur Kontaktnachverfolgung. Das heißt: Die Mitarbeiter schauen, wie die Daten erfasst werden und erkundigen sich, ob die Gäste mitwirken und das Verfahren im Lokal grundsätzlich funktioniert. Listen werden auf Vollständigkeit geprüft. Ob Bußgelder wegen ungenügender Gästeregistrierung verhängt wurden, geht aus der Statistik nicht hervor. "Die Bußgelder werden aber vorwiegend für das Missachten der Maskenpflicht verhängt", sagt Sandy Bradtke, Sprecherin des Innenressorts.
Trey gibt für die ersten drei Juliwochen rund 124.000 Besucher an, die sich per Bremen Gast registriert haben. Die Zahlen dürften noch deutlich steigen, denn auch die Schausteller auf der Sommerwiese nutzen jetzt die Gastro-App, mit der sich die Besucher registrieren sollen. Luca teilt die entsprechenden Zahlen weder flächendeckend noch für einzelne Städte mit. Publiziert wird dagegen die bundesweite Zahl der Zugriffe auf die hinterlegten Besucherdaten durch die inzwischen über 300 angeschlossenen Gesundheitsämter. Das seien rund 1100 pro Tag.
Der Dortmunder IT-Experte Ralf Rottmann nutzt eine öffentliche Schnittstelle des Luca-Systems zur Auswertung der sogenannten Trace-IDs, die auch Daten für einzelne Gesundheitsämter liefern. Demnach wurden von der Bremer Behörde in den zurückliegenden 28 Tagen vor dem 26. Juli 373 Registrierungen der Luca-App abgefragt. Theoretisch kann es sich dabei um 373 unterschiedliche Personen handeln, die jeweils ein Lokal besucht haben – oder um eine Person, die 373 Lokalitäten beehrt hat. Das Gesundheitsamt bezweifelt die Analyse. Erstmalig seien Anfang Juli Kontaktdaten von einem Positivfall angefragt und seitdem von drei weiteren Positivfällen die Daten angefordert worden.