Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Unnötige Einsätze Notaufnahme statt Hausarzt

Bremen. Notaufnahmen in den Krankenhäusern geraten an ihre Kapazitätsgrenzen, weil immer häufiger Menschen dort Hilfe suchen, obwohl sie zum Hausarzt gehen könnten.
21.02.2014, 00:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Notaufnahme statt Hausarzt
Von Sabine Doll

Notaufnahmen in den Krankenhäusern geraten an ihre Kapazitätsgrenzen, weil immer häufiger Menschen dort Hilfe suchen, obwohl sie zum Hausarzt gehen könnten. Und auch die Feuerwehr schlägt Alarm, weil die Zahl unnötiger Rettungseinsätze seit Jahren steigt.

Ein echter Notfall ist der Mann nicht. Weil er Rückenschmerzen hat und das möglichst schnell abklären lassen will, ist er in die Notaufnahme gekommen. Nach drei Stunden kann er das Krankenhaus wieder verlassen, beim Orthopäden hätte er drei Wochen auf einen Termin gewartet. Solche Fälle gehören heute zunehmend zum Alltag in der Notaufnahme des Klinikums Bremen-Mitte. „Mit der Folge, dass wir an unsere Kapazitätsgrenzen kommen“, sagt der zuständige Chefarzt Klaus-Peter Hermes. „Dafür sind wir definitiv nicht ausgelegt. Regelmäßig ist der Wartebereich voll besetzt, an Wochenenden, Feiertagen, vor allem abends – und inzwischen auch an ganz normalen Tagen in der Woche. Das ist ein echtes Problem.“

Wesentliche Ursachen dieses Problems sind aus Sicht des Arztes Patienten, die immer häufiger mit sogenannten Bagatell-Erkrankungen in die Notaufnahme kommen – mit Rückenschmerzen, Durchfall oder auch Erkältung. In zehn Jahren ist die Zahl der Patienten, die in Bremens größtem Krankenhaus notfallmedizinisch versorgt werden, von rund 22000 in 2002 auf 30800 im Jahr 2012 gestiegen. Jedes Jahr gebe es einen Anstieg von vier bis sechs Prozent. „Und das liegt definitiv nicht daran, dass es plötzlich viel mehr Schwerverletzte gibt“, sagt Hermes. Zwar sei auch die Zahl der älteren, kranken Menschen gestiegen, aber auch das könne diese Entwicklung nicht erklären. „Es liegt ganz eindeutig daran, dass wir immer mehr Menschen behandeln, die eigentlich nicht in die Notaufnahme gehören.“ Auch andere Bremer Kliniken wie etwa das Diako in Gröpelingen bestätigen diese Entwicklung. „Es gibt Tage, an denen sich die Bagatell-Erkrankungen mit den ernsten Fällen schon die Waage halten“, sagt Klinik-Sprecher Ingo Hartel.

Nicht nur in Bremen ist das ein Problem. Ende vergangenen Jahres haben Krankenhäuser in Hamburg Daten von rund 5000 Patienten ausgewertet, die in einem Zeitraum von 16 Tagen in den Klinik-Ambulanzen behandelt wurden. Die Patienten kamen mit dem Rettungswagen, durch Einweisung von einem niedergelassenen Arzt oder auf eigene Faust. Für sieben Prozent hätten eigentlich andere Mediziner wie Hausärzte oder Bereitschaftsdienste zur Verfügung gestanden. Und: Bei weiteren zehn Prozent hätten diese Ärzte in einer angemessenen Frist erreicht werden können, so die Ergebnisse der Hamburger Studie.

„Die Notaufnahme ist bei vielen Patienten zu einem Ersatz für den Haus- und Facharzt geworden, eine Art ambulantes Rundum-Paket. Alle wichtigen Fachabteilungen sind an einem Ort versammelt, das ist praktisch und spart die lange Wartezeit auf einen Termin bei einem Facharzt“, sagt Hermes. Dies gäben Patienten auch ganz selbstverständlich an, viele hätten zudem keinen Hausarzt mehr. Vor allem bei der jüngeren Generation sei das der Fall. Hinzu komme, dass Patienten sensibler und zugleich unsicherer bei der Bewertung körperlicher Beschwerden geworden seien. „Die Zeiten, in denen die Leute erst dann in die Notaufnahme kommen, wenn sie im Grunde ihren Kopf unter dem Arm tragen, sind vorbei“, sagt der Arzt. „Die Hemmschwelle ist gesunken, auch aus Bequemlichkeit.“

Diese Erfahrung machen auch die Rettungsdienste, wie Michael Richartz, Sprecher der Bremer Feuerwehr bestätigt. Als besonders krassen Fall hat er eine Frau in Erinnerung, die den 112-Notruf wegen eines eingerissenen Zehennagels gewählt habe. Manche Anrufer versprächen sich auch durch die Alarmierung, schneller in die Notaufnahme und damit zu einem Arzt zu kommen. „Jedes Jahr verzeichnen wir eine Steigerung bei den Rettungseinsätzen, und ein wachsender Anteil entfällt immer häufiger auf Dinge, die das nicht rechtfertigen“, sagt Richartz. Nicht immer könne das bereits beim Anruf geklärt werden, sodass ein Rettungswagen ausrücke, auch wenn sich dies später als unnötig herausstelle. Das große Problem aus Sicht des Sprechers ist, dass durch unnötige Rettungsfahrten wichtige Einsatzmittel für echte Notfälle blockiert werden könnten. So könne es in Einzelfällen sein, dass Menschen in einer echten Notsituation länger auf lebenswichtige Hilfe warten müssten. Richartz: „Das bereitet uns große Sorgen, allerdings können wir uns dagegen schlecht wehren, da wir niemanden in einer unklaren Situation abweisen.“

Die steigenden Rettungsfahrten produzieren auch mehr Kosten. Eine Fahrt schlägt laut Richartz mit rund 300 Euro zu Buche, diese Kosten würden durch die Sozialträger wie Krankenkassen übernommen. „Wenn diese Entwicklung so weiter geht, müssten wir langfristig mehr Rettungswagen anschaffen, um die Versorgung sicherzustellen.“

Bei der Innenbehörde, die für den Rettungsdienst zuständig ist, stehen die steigenden Einsätze auf der Agenda. „Nicht nur in Bremen ist das ein Problem“, sagt ihre Sprecherin, Rose Gerdts-Schiffler. „Wir betrachten das mit Sorge, daher wird es in Abstimmung mit der Innenministerkonferenz der Länder einen Forschungsauftrag dazu geben. Wir wollen wissen, was die Gründe sind und wie man darauf reagieren kann. Denn das kostet auch viel Geld.“

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)