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Stadtteilserie: Folge 17 Obervieland hat viele Gesichter

Bremen. Habenhausen, Arsten, Kattenturm und Kattenesch: Seit 1962 bilden die vier Ortsteile ein Ganzes - zumindest auf dem Papier. Doch sind es vor allem die Unterschiede, die den Stadtteil Obervieland bis heute prägen.
06.11.2010, 09:00 Uhr
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Von Christian Meyer

Bremen. Habenhausen, Arsten, Kattenturm und Kattenesch: Seit 1962 bilden die vier Ortsteile ein Ganzes - zumindest auf dem Papier. Doch sind es vor allem die Unterschiede, die den Stadtteil Obervieland bis heute prägen.

Brasilien, Thailand, Amerika – Kirsten Zantvoort ist schon viel herumgekommen. Aber eine Fahrt nach Kattenturm ist für die 18-jährige Habenhauserin so etwas wie eine Weltreise im Miniformat. Und das, obwohl der Ortsteil von ihrer Haustür gerade mal fünf Kilometer entfernt ist. Die Schulsprecherin der Freien Evangelischen Bekenntnisschule braucht zehn Minuten mit dem Rad, um in ganz neue Sphären einzutauchen.

„Ich bin Habenhauserin“, sagt sie bestimmt. Als Obervielanderin sieht sie sich nicht. „Das sind für mich vier verschiedene Stadtteile.“ Kattenturm, Arsten, Kattenesch. Und eben ihr – Habenhausen. Da wohnt sie, dort geht sie zur Schule, hier trifft sie ihre Freunde und kauft Brötchen. „Eigentlich gibt es hier alles“, erzählt sie, während sie beim Spaziergang über den Parkplatz vom „Werder Karree“ unter einem Dach Schutz vor dem Regen sucht. „Hier bekommt man alles, was man braucht.“ Blumen, Bücher und Schreibzeug für die Schule. „Ja gut, für Klamotten fahre ich dann schon in die Stadt. Die kriegt man hier nicht so toll.“ Aber das sei auch kein Problem: „Mit dem Rad ein paar Minuten an der Weser entlang und ich bin da. Das ist ja das Tolle hier. Die Stadt ist ganz nah, obwohl wir mitten im Grünen wohnen.“

Die im Februar 18 Jahre alt gewordene Holländerin erzählt nicht nur von ihrem „Stadtteil“, in dem sie schon immer wohnt, sie schwärmt. Wenn sie jemand fragt, wo sie herkomme, dann sagt sie nicht Bremen und schon gar nicht Obervieland, sondern: „Ich bin aus Habenhausen.“ Das würden alle so machen. Sie sagt das mit so einer Bestimmtheit, dass man ihr nicht widersprechen mag.

Kein Platz für Jugendliche

Supermärkte, die Natur, die Schule, ihr Zuhause – alles da. Nur eines, das gibt es nicht. „Ein Platz, wo wir Jugendlichen uns treffen können.“ Na klar gebe es den Werdersee, dort wird auch schon mal die Nacht zum Tage gemacht. Aber sonst? „Gibt es nichts.“ Kein Café, keinen Jugendclub. Wenn man abends partout nicht wisse wohin, „treffen wir uns auch schon mal bei McDonald’s.“ Und was ist mit dem BGO, dem Bürgerhaus Gemeinschaftszentrum Obervieland? Das ist schließlich nur einen Katzensprung entfernt. „Das ist eher was für Kattenturmer“, wiegelt Zantvoort ab.

Dass sich die Obervielander so stark mit ihren Ortsteilen identifizieren, ist auch historisch bedingt. Vor rund 50 Jahren waren die vier Viertel noch nicht vereint. 1962 wird aus Kattenesch, Kattenturm, Arsten und Habenhausen ein Ganzes. Zumindest auf dem Papier. Fast ein halbes Jahrhundert später hat sich diese Einigkeit in vielen Obervielander Köpfen nur theoretisch durchgesetzt. „Das ist nachvollziehbar“, findet Ortsamtsleiter Ingo Funck. Schließlich sei zum Beispiel Arsten lange ein eigenes Dorf mit eigener Verwaltung gewesen.

Vielleicht sind aber auch die unterschiedlichen sozialen Bedingungen in den Ortsteilen schuld, dass viele Bewohner sich abgrenzen. Während in Habenhausen nur etwa fünf Prozent eine Arbeit suchen, sind es in Kattenturm fast ein Drittel. Fast die Hälfte der Einwohner dort, nämlich 45 Prozent, habe keine deutsche Wurzeln. Ein paar Meter weiter trifft das nur auf jeden Zehnten zu.

Tiefe soziale Gräben

Die junge Geschichte und die tiefen sozialen Gräben, die sich durch Obervieland ziehen, lassen erahnen, warum Bremens jüngster Stadtteil so unterschiedlich von seinen Bewohnern wahrgenommen wird. „Die Ortsteile sind sehr heterogen“, sagt Funck. Da koche eben jeder sein eigenes Süppchen. „Aber es wird besser.“ Schließlich gebe es immer mehr Feste wie zum Beispiel die Obervielander Vielfalt, bei der Vereine aus dem Stadtteil in trauter Gemeinsamkeit feiern.

Inzwischen führt Kirsten Zantvoorts Spaziergang an den Deich: „Hier gehe ich immer mit meinem Hund spazieren. Erst eine Runde durchs Dorf und dann zurück übern Deich.“ Dort gebe es einen tollen Blick auf den Yachthafen und das dahinter liegende Vogelschutzgebiet. In der anderen Richtung liegt die Korbinsel. Der Blick über den Deich lässt erahnen wie weitläufig Obervieland, dass im Nordosten und Osten an die Weser und im Süden an die Ochtum grenzt, ist.

Der Spaziergang wird von miesem Wetter begleitet. Es regnet in einer Tour, Schirme werden vom Wind umgeklappt. Spaziergänger grüßen in gebückter Haltung, um so der starken Brise weniger Angriffsfläche zu bieten. Zantvoort lässt sich davon nicht irritieren. Strammen Schrittes geht sie voran und deutet nach links. Zum Fußfallfeld, zum Schulzentrum am Bunnsackerweg, dann zeigt sie auf die vielen unfertigen Häuser. „Ich finde das ganz schrecklich“, hat sie eine klare Meinung zu dem Neubaugebiet. Habenhausen habe so viele grüne Flächen, die immer mehr zugebaut werden. In den kommenden Jahren werden 140 Wohneinheiten am Deich gebaut.

Traditionelle Bauernhäuser und Hochhausburgen

Nur wenige Meter von den noch nicht schlüsselfertigen Häusern entfernt ist Zantvoorts liebster Ort: „Der Werdersee. Hier gibt es so viele schöne Plätze. Mein Lieblingsplatz ändert sich mit jedem Sommer.“ Vergangenes Jahr waren es die Fischtreppen, diesen Sommer lachte, schwamm und trank man in der Nähe der Erdbeerbrücke. „Wenn ich mich mit meinen Freunden verabrede, sag ich nur: ‚Bis später, am Werdersee‘ und alle wissen, was gemeint ist.“

Zantvoort steuert ihr Auto wie eine Reiseleiterin durch Obervieland. Immer wieder drosselt sie das Tempo, um etwas zu zeigen und zu erklären. Sie erzählt von der Tradition der alten Bauernhäuser in Arsten. Einige seien über 100 Jahre alt und werden inzwischen von der dritten Generation bewohnt.

Die Autofahrt macht in kurzer Zeit sehr schnell deutlich, wie unterschiedlich der Stadtteil ist: traditionelle Bauernhäuser und Hochhausburgen sind nur einige Kilometer voneinander entfernt. Während Arsten noch den Charakter eines Dorfes hat, wirkt Kattenturm eher städtisch. Was in Obervieland auch sofort ins Auge springt, sind die vielen grünen Punkte auf der Landkarte. Direkt an der Kattenturmer Heerstraße ist der Wolfskuhlenpark, in Habenhausen liegt der Krimpelsee und dann natürlich noch der Werdersee.

Der nächste Stopp auf Zantvoorts Tour ist der Jugendclub Kattenturm. „Ich habe da meinen 18. Geburtstag gefeiert.“ Bei ihr in Habenhausen habe es einfach nichts gegeben, wo sie eine rauschende Party hätte feiern können. Der angehenden Abiturientin sitzen der 18-jährige Dominik und der zwei Jahre jüngere Haktan gegenüber. Die beiden Jungs hocken vor einem riesigen Mischpult und „bauen Beats“. Das bedeutet nicht anderes als Musik machen. Dominik und Haktan stellen einen ihrer neuen Rapsongs vor. UmsFrauenabschleppen und Feiern geht es. „Sind halt Partysongs“, erklärt Dominik, der sich als Rapper „Eazea“ nennt.

Alle sind mit ihrem Kiez verbunden

Während sich die drei jungen Obervielander unterhalten, werden zwei Dinge schnell klar. Die Habenhauserin und die Kattenturmer bemängeln das Gleiche: „Es gibt zu wenig für Jugendliche.“ Und alle sind sie ihrem Kiez verbunden. Die Rapper gehören zu Kattenturm, die Privatschülerin zu Habenhausen. Verbindungen zu anderen Ortsteilen gibt es zwar, sie sind aber nicht eng. Trotzdem wird im im Laufe des Gesprächs offensichtlich, dass Haktan und Dominik mit anderen Problemen zu kämpfen haben als Kirsten aus Habenhausen.

Die Jungs erzählen von Drogengeschäften und Schlägereien, die in Kattenturm angeblich zum rauen Alltag gehören. Zantvoort kümmert sich als Schulsprecherin an der christlichen Privatschule darum, dass sich die Zusammenarbeit zwischen Schülern und Lehrern verbessert. „Habenhausen ist das eher feine Viertel und Kattenturm ein Brennpunkt“, bringt Dominik die Lebenswelten aus seiner Sicht auf den Punkt.

„Politische Entscheidungen und städtebauliche Maßnahmen“ sind für Jugendhausleiter Peer Sevke die Gründe für gegensätzlichen Entwicklungen in Obervieland. „In Habenhausen gibt es keine Hochhäuser.“ Vor rund 40 Jahren brauchte Bremen Wohnraum, also wurden flugs ein paar Häuser in Kattenturm hochgezogen. Viele Gastarbeiter zogen dort ein. „Natürlich wollen die Familienangehörigen in die Nähe ihrer Verwandtschaft ziehen“, erklärt Sevke. Und so habe sich Kattenturm mit den günstigen Hochhauswohnungen zu einem Migrantenviertel entwickelt.

Anders die Situation in Habenhausen und Arsten: Hier haben Grundstücksbesitzer Teile ihres Besitzes an Familien, die sich ein Haus bauen und leisten wollten, verkauft. So haben sich die Viertel zu eher bürgerlichen Quartieren gemausert.

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