Keine Hebammen mehr in Deutschland? Wenn es keinen Versicherer mehr gibt, der eine Haftpflicht für Geburtshelferinnen anbietet, droht der Berufsgruppe das Aus. Eine Vorstellung, die auch junge Eltern ängstigt.
Das Szenario ist nicht weit von der Wirklichkeit entfernt: Hebammen geben ihren Beruf auf, weil sie keinen Haftpflichtversicherer mehr finden. Und ohne diese Absicherung dürfen die Frauen nicht arbeiten. Ihr Einsatz für das neue Leben wird damit schlicht unmöglich gemacht. Lukrativ war der noch nie. Nach einer Studie des Bundesgesundheitsministeriums von 2012 kommen Hebammen im Schnitt auf ein Jahreseinkommen von 24 000 Euro vor Steuern. Und nun noch die Sorge um die Versicherung.
Nicht nur Hebammen hat die düstere Aussicht alarmiert. In Berlin sucht die Politik in einer innerministeriellen Arbeitsgruppe nach Lösungen. Werdende Eltern und junge Mütter treten zur Unterstützung der Geburtshelferinnen an.
Beratung bei Krisen
Wie sie zwei Schwangerschaften und Geburten ohne Hilfe einer Hebamme hätte bewältigen sollen, kann sich Linda Gruet gar nicht vorstellen. Gerade einmal acht Wochen ist es her, dass Söhnchen Louis auf die Welt kam. Sein großer Bruder Oskar ist zwei Jahre alt. Dass die Bremerin in diesen Tagen relativ entspannt die unterschiedlichen Bedürfnisse ihrer Kinder erfüllen kann, schreibt sie auch ihrem in sämtlichen Fragen rund um Geburt und Eltern-Werden erfahrenen Beistand zu.
„Nach zehn Jahren in Irland und den Erfahrungen mit einem schlechten Gesundheitssystem habe ich mich auf die Rückkehr nach Deutschland gefreut“, sagt die Modedesignerin, die nach ihrem Studium länger im Ausland arbeitete. Mit ihrem Mann kehrte Linda Gruet nach Bremen zurück, weil der gebürtige Franzose hier eine Stelle in einem großen Unternehmen bekam. Die erste Schwangerschaft fiel in die Zeit der Haussanierung. „Ich war im fünften Monat schwanger, als der Dachstuhl runter musste, und habe noch kurz vor der Geburt mit dem Bohrhammer herumgestanden“, schildert die 37-Jährige ihre Erlebnisse. Die Hebamme machte damals „wichtige Krisenberatung“, so Linda Gruet. „Eine Ärztin deckt ja eher das Medizinische ab. Die Hebamme musste für alles andere herhalten.“
Vor jedem Treffen hatte Linda Gruet eine lange Liste mit Fragen aufgeschrieben. Was darf ich noch tun? Was braucht das Kind? Ist es schlimm, wenn im Kinderzimmer noch keine Vorhänge sind? „Beim ersten Kind hat man ja noch keine Ahnung und ist so unsicher“, erinnert sich die gebürtige Würzburgerin. „Eine Hebamme ist seelischer Beistand.“ Auch während der Geburt hätte sie sich sehnlichst eine gewünscht, die in der Klinik an ihrer Seite bleibt. Doch der Kreißsaal war überfüllt, erzählt sie. Hebammen und Arzt, von den vielen Geburten an dem Termin überfordert, rannten nur hin und her. Die Geburt sei schwierig gewesen – kein Erlebnis, an das Linda Gruet gern zurückdenkt.
Umso wichtiger war ihr die Nachsorge, die Möglichkeit, täglich Besuch zu bekommen und Antworten auf unzählige Fragen zu finden. Wie viel Schreien ist normal? Wann hat ein Kind Hunger? Wie wichtig ist es, beim Stillen darauf zu achten, dass das Kind im Wechsel an die Brust gelegt wird? Wie gehe ich mit einem Milchstau um? „Eine Hebamme bringt Ruhe rein“, ist Linda Gruet sicher. Auch für ihren Mann sei das so gewesen. „Väter haben ja einen viel abrupteren Start mit dem Kind.“ So manches Gespräch führte die junge Mutter am Abend oder am Wochenende mit der Hebamme am Telefon, immer dann, wenn sie nicht weiterwusste. Nach der Geburt des zweiten Kindes kamen neue Fragen hinzu: Warum schläft der Ältere nicht mehr durch? Ist Eifersucht normal? Wie wird man beiden gerecht?
Die Hebamme wurde für sie und ihren Mann „zum Familienmitglied. Sie wird hineingeworfen in Familienkrisen“, sagt die junge Mutter. Mit Blick auf ihre eigene Situation und die von Freundinnen ist Linda Gruet sicher: „Ohne Hebammen geht es nicht. Man würde komplett die Orientierung verlieren.“ Und nach einem kurzen Zögern fügt sie hinzu: „Wenn es keine Hebammen mehr gäbe, würde ich mir ein drittes Kind sehr überlegen.
“