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Im Kirchendienst und homosexuell So erlebt der Bremer Manuel Rios Juarez sein „zweites Coming-out“

125 Angestellte der katholischen Kirche haben sich zu ihrer sexuellen Orientierung bekannt. Darunter auch ein Bremer. Wir haben mit dem angehenden Pastoralreferenten Manuel Rios Juarez gesprochen.
27.01.2022, 12:23 Uhr
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So erlebt der Bremer Manuel Rios Juarez sein „zweites Coming-out“
Von Marc Hagedorn

Eine Kamera, einen schlichten roten Hintergrund und drei Minuten Redezeit, mehr braucht Manuel Rios Juarez nicht, um ein Zeichen zu setzen. „Ich komme aus Bremen, bin dort als Gemeindeassistent tätig, und ich bin homosexuell“, sagt der 29-Jährige in den ersten Sekunden eines Videos, das in der Mediathek der ARD abrufbar ist.

Rios Juarez arbeitet für die katholische Kirche. Er gehört zum Pastoralteam der Gemeinde Heilige Familie in Grohn und St. Marien in Blumenthal. Rios Juarez macht mit bei einer Aktion, die seit Montag bundesweit für große Aufmerksamkeit sorgt. „Out in Church – für eine Kirche ohne Angst“ heißt eine Kampagne, in der 125 Kirchenangestellte aus ganz Deutschland ihre sexuelle Orientierung offenlegen. Die ARD strahlte dazu am Montagabend zur besten Sendezeit eine Dokumentation unter dem Titel „Wie Gott uns schuf“ aus.

Er habe nicht lange überlegen müssen, ob er sich an der Aktion beteiligen wolle, erzählt Rios Juarez im Gespräch mit dem WESER-KURIER. „Es war mir schon lange ein Anliegen, etwas zu verändern und zu bewirken.“ Kurz nach dem Auszug aus dem Elternhaus, mit 18, beginnt er, sich mit der eigenen Sexualität auseinanderzusetzen. „In unserer Familie war das vorher nie ein Thema“, sagt er.

„Out in Church“: Führende katholische Organisationen bekunden Solidarität 

Fern von zu Hause beginnt er sich zu fragen: Was bedeutet das, was ich an mir wahrnehme? Diese Identitätsfrage bringt ihn der Kirche nahe. „Sinnsuche hat etwas tief Christliches“, sagt Rios Juarez, „zu verstehen, was man ist, zu verstehen, von wo man kommt und wie man gedacht ist.“ In eineinhalb Jahren wird er seine Ausbildung zum Gemeindereferenten beendet haben.

Nach seinem, wie er es nennt, „zweiten Coming-out“ am Montag hat er viel Feedback bekommen. Von Freunden und guten Bekannten, von Leuten, die er aus den Augen verloren hatte und von Unbekannten. „Durchweg positiv“ seien die Reaktionen gewesen, „ermutigend, unterstützend“ und auch ein bisschen überwältigend.

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„Out in Church“ macht Furore. Kurz nach dem Start der Kampagne war der Server so überlastet, dass die Internetseite der Initiative zeitweise zusammenbrach. Der Hashtag zum ARD-Film des Journalisten Hajo Seppelt, der sich in den vergangenen Jahrzehnten einen Namen als Investigativreporter in der Dopingszene gemacht hat, wurde bei Twitter so häufig genutzt, dass er in der Trendliste auftauchte. Rund 30 führende katholische Verbände und Organisationen haben ihre Solidarität bekundet.

„Die Konsequenz, wenn ich sagen würde, dass ich heiraten möchte, wäre ganz klar, es darauf ankommen zu lassen, dass ich von meinem Arbeitgeber gesagt bekomme: Du musst dich jetzt hier entscheiden, für die Kirche oder für dein Privatleben“, sagt Rios Juarez. Von harten Entscheidungen, von Identitätskrisen, Ausgrenzung und Suizidversuchen berichten andere Betroffene in dem ARD-Film. Priester und Ordensbrüder, Lehrer und Sozialarbeiter, Kindergärtnerinnen und Gemeindereferentinnen kommen zu Wort.

Tatsächlich schließt der Arbeitsvertrag für Mitarbeitende bei der Kirche Loyalitätsverpflichtungen ein. Demnach müssen die Angestellten die eigene Lebensführung an den Grundsätzen der Glaubens- und Sittenlehre ausrichten. Das Eingehen einer gleichgeschlechtlichen Ehe etwa kann als Verstoß gegen diese Verpflichtung gesehen werden und zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen. Rechtssicherheit gibt es kaum. Viel hängt vom Ermessen und der Auslegung der kirchlichen Arbeitsrichtlinien durch den jeweiligen Ortsbischof ab.

Eine Kirche, in der sich ein Mitarbeitender deswegen verstecken muss, kann nicht im Sinne Jesu sein.
Propst Bernhard Stecker

Genau das wollen die Initiatoren von „Out in Church“ nicht länger hinnehmen. Sie fordern eine Reform des Arbeitsrechtes. Und sie bekommen Zuspruch von der Kirchenführung. Franz-Josef Bode, Bischof des Bistums Osnabrücks, zu dem auch die meisten Bremer Gemeinden gehören, spricht von einer „längst überfälligen Debatte“. Der Bremer Propst Bernhard Stecker ergänzt: „Wir unterstützen das Anliegen, sich frei zur eigenen sexuellen Orientierung bekennen zu können. Denn eine Kirche, in der sich ein Mitarbeitender deswegen verstecken muss, kann nicht im Sinne Jesu sein.“

Um Reformprozesse anzustoßen, verweisen Bode wie Stecker auf den Synodalen Weg, also den Austausch zwischen der Kirchenführung und Laien, der nächste Woche in Frankfurt in die dritte Runde geht. Heiner Wilmer, Bischof von Hildesheim, zu der Rios Juarez‘ Gemeinden in Grohn und Blumenthal zählen, sagt, dass die Kirche die heutigen Lebenswirklichkeiten von gleichgeschlechtlichen Gemeinschaften würdigen müsse.

Rios Juarez machen solche Worte Mut. „Es würde mir viel bedeuten, wenn durch die Aufmerksamkeit und die Ehrlichkeit der Teilnehmer ein ehrlicher und aufrichtiger Dialog entstünde“, sagt Rios Juarez, der eine Zeit lang überlegt hatte, ob er sich lieber anonym oder mit seinem Klarnamen an der Aktion beteiligen sollte. „Aber dann habe ich mir gesagt: Darum geht es doch, konsequent und ehrlich zu sein.“

Das will er auch im Falle einer Heirat sein, wenn er von der Kirche vor die Wahl gestellt würde. „An diesem Punkt habe ich meinem Freund öfter gesagt, dass ich ihn auf jeden Fall vorziehen werde.“ Am liebsten aber wäre ihm, wenn es gar nicht mehr Kirche oder Ehe, sondern wie selbstverständlich Kirche und Ehe heißen könnte.

Das sagen Kirchen-Mitarbeiter aus Niedersachsen

Ist das richtig, so wie ich bin?

Sven Diephaus, 40, ist in Twistringen groß geworden und heute Jugendreferent in der Pfarreiengemeinschaft Haselünne und Lehrte im Emsland. Er erzählt: „Dadurch, dass ich in einem kleinen Dorf aufgewachsen bin, das katholisch geprägt war, war all das, was die Kirche gelehrt hat, natürlich irgendwie auch maßgebend. Und da entsprach ich erstmal nicht der Norm. Von daher war in meinem Kopf immer drin: Ist das normal? Ist das richtig, so wie ich bin? So mit 25 kam für mich die Erkenntnis: Ja, das ist richtig so. Wenn ich das glaube, was dort steht (in der Bibel, Anm. d. Red.) und was ich bisher gelernt habe, nämlich dass die Liebe das große Thema und entscheidend ist, dann passt das auch so zu mir in meiner sexuellen Orientierung.

Jetzt in der Kirche zu leben, auch mit meiner Beziehung, ist eine Herausforderung. Vor allem wenn aus Rom auf einmal Statements kommen, die das sehr infrage stellen, etwa die Segnung gleichgeschlechtlicher Beziehungen. Aber ich spüre auch: In der Gemeinde an sich, bei den Menschen vor Ort, ist eine unglaublich positive Ausstrahlung, da wird gesagt: Ja, macht das so, das ist gut so.“

Wie doof bist du denn?

Ann-Cathrin Röttger, 43, ist Leiterin der Arbeitsstelle Freiwilligendienste in Osnabrück und lebt seit siebeneinhalb Jahren mit ihrer Freundin zusammen. Sie berichtet: „Obwohl ich mit Beginn des Studiums wusste, dass ich lesbisch bin, habe ich das erstmal verdrängt und gedacht: Ja gut, irgendwie wird sich das Problem schon lösen. Und dann habe ich bei Kirche gearbeitet und gemerkt: Nee, irgendwie löst sich das Problem nicht. Ich bin immer noch lesbisch und möchte das auch ausleben und hätte gern eine Beziehung. Ich hatte ein Riesenproblem mit mir selbst, weil ich immer gedacht hatte: Okay, wie doof bist du denn? Du hast dir deinen Beruf gesucht, obwohl du wusstest, dass… und habe die ganze Schuld bei mir gesucht.

Ich weiß nicht, ob es jetzt (mit dem Coming-out, Anm. d. Red.) Konsequenzen gibt. Ich glaube, im Bistum Osnabrück sind wir in der glücklichen Lage, dass es auf der mittleren Leitungsebene viele engagierte Personen gibt, die sehr für dieses Thema kämpfen. Das weckt in mir die Hoffnung, dass es nicht die unmittelbare Konsequenz hat, dass ich einen Tag nach der Ausstrahlung die Kündigung auf dem Tisch habe.“

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