Steintor. Der Innenraum der Friedenskirche an der Humboldtstraße erstrahlt inklusive der Kirchenbänke so weiß wie eine Friedenstaube, ganz so, wie es sich Bernd Klingbeil-Jahr vor knapp einem Jahr gewünscht hatte. In dieser Kulisse kommen die Kirchenfenster, die 1967 von dem Künstler-Ehepaar Ruth-Elisabeth und Peter van Beeck aus Oberneuland geschaffen wurden, ganz besonders gut zur Geltung. „Wenn das Sonnenlicht durch sie hindurch fällt, dann ist es, als ob man in einer Wolke von farbigem Licht stünde“, schwärmt der leitende Pastor der Friedensgemeinde.
Vor knapp einem Jahr hatten die umfangreichen Sanierungsmaßnahmen begonnen, größtenteils fertig gestellt waren sie dann an Heiligabend. „Wir konnten vier Gottesdienste mit insgesamt 2400 Menschen feiern“, erzählt Bernd Klingbeil-Jahr. Doch diese Zeiten sind seit Montag auf noch nicht absehbare Zeit vorbei. Der Senat hat wegen der Corona-Krise verfügt, dass alle Gotteshäuser, Kirchen, Moscheen und Synagogen bis auf Weiteres geschlossen bleiben müssen. Ursprünglich war für Freitag, 20. März, die offizielle, feierliche Wiedereröffnung geplant gewesen, mit viel Musik und einer poetischen Lichtprojektion von Katharina Berndt, die den Kirchenraum fluten sollte. Genauso passé wie das große Dankeschön-Fest, das die Friedensgemeinde eigentlich für ihre rund 150 Ehrenamtlichen hätte geben wollen.
Klingbeil-Jahr hofft nun darauf, dass dieser kulturelle Festakt zumindest am Reformationstag, am 31. Oktober, an dem traditionell die Nacht der Kirchen veranstaltet wird, nachgeholt werden kann. Doch wer kann das in diesen Tagen schon wissen? Ob Hochzeiten oder Konfirmationen, alles steht still; auch das Gemeindeleben. Beerdigungen könnten nur noch im kleinsten Kreis abgehalten werden, sagt der Pastor.
Doch die Friedensgemeinde wäre nicht die Friedensgemeinde, wenn hier nicht weiterhin das hauseigene Motto gelten würde, nämlich gerade jetzt Dienst am Menschen zu leisten. „Mein Kollege Jasper von Legat und ich erhalten viele E-Mails und auch besorgte Anrufe. Wir sind jetzt mehr denn je als Seelsorger gefragt“, erzählt er. Nach dem ersten Schock beginnen die Kirchen damit, sich untereinander zu vernetzen, um peu à peu Hilfsangebote für ältere und kranke Menschen zu organisieren. Schließlich gelte gerade in Zeiten wie diesen das Credo: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“. Die Isolation und das Gefühl der Ohnmacht machten den Menschen zu schaffen, sagt der Pastor. „Es gibt viele Gründe zum Umdenken. Wir sehen jetzt, was passiert, wenn hier Arbeitsplätze abgebaut werden und in Billiglohnländer zwecks Gewinnmaximierung verlagert werden“, sagt der Kapitalismuskritiker, gerade auch im Hinblick auf den Engpass an Schutzkleidung. Klingbeil-Jahr erinnert sich an den Frühling 1986 zurück, der so schön war, wie dieser, als in Tschernobyl der Supergau die Umwelt weiträumig atomar verseuchte. Der Pastor zieht eine Parallele zu heute, damals wie heute im Fall des Coronavirus habe es sich um eine schleichende, unheimliche, da unsichtbare Gefahr gehandelt. Eine absolute Grenzerfahrung. So mancher und manche habe in Ausnahmesituationen wie diesen besonders das Bedürfnis, ein Gebet zu sprechen. Für Einzelne versuche er, das in den hohen Kirchenräumen auch zu ermöglichen, sagt er.
Besonders imponiert haben dem Pastor die selbst gemalten Regenbogenbilder, die Kinder in dem vom Coronavirus besonders hart getroffenen Italien, mit der Überschrift „Tutto andró bene“, alles wird gut, in die Fenster gehängt haben. „Es wäre doch schön, wenn sich ein bisschen von diesem Regenbogen-Optimismus auch über unsere Gesellschaft legen würde“, sagt Klingbeil-Jahr. Das gelte auch und gerade für die Wertschätzung der oft unterbezahlten Pflegekräfte.
„Das ist keine Zeit für Ego-Shooter, sondern eine Zeit für auf Verständigung angelegte Lebenserfahrungen“, betont er. Die Solidarität für- und untereinander sei in kleinen Aktionen bereits spürbar. So gebe es auf die Initiative einer jungen Frau hin in der Friedensgemeinde bereits eine Gruppe von Ehrenamtlichen, die Besorgungen und Einkäufe für Ältere und Kranke erledigt. Nur habe sich dieses Angebot bislang noch nicht so herumgesprochen. Vom Regenbogen als Symbol der Hoffnung noch einmal zurück zur Farbwolke, die die Friedenskirche erfüllt, sobald der Sonnenschein durch die Fenster fällt. Auch auf den reinweißen Boden aus Naturkautschuk. „Elf Schichten sind hier übereinander gelegt worden, die die Nässe aus dem Boden abblocken. Das ist mit einem modernen Sport-Funktionsshirt vergleichbar“, erläutert er. Dazu käme die Fußboden- und Wandheizung, die bis zur Schulterhöhe reiche. Die Einsparung an Energie und CO2-Emissionen sei enorm, betont Klingbeil-Jahr. Die Heizkosten-Ersparnis belaufe sich auf rund 11 000 Euro jährlich.
Brandneu ist auch die High Tech LED-Anlage mit Spots, über die verschiedene Lichtstimmungen in der Kirche über Tablet erzeugt werden können. „Mit unserer alten Beleuchtungsanlage haben wir 9000 Watt gebraucht, jetzt sind es nur noch 1000 Watt“, erklärt der Pastor. Ebenfalls über ein Tablet lässt sich der Beamer steuern, mit dessen Hilfe Filme und Projektionen an die Leinwand hinter dem Altar geworfen werden können. Die Umbauarbeiten seien zur Zufriedenheit aller verlaufen, sagt Klingbeil-Jahr. Es habe weder unliebsame Überraschungen noch Verzögerungen gegeben. Auch der Rahmen der Sanierungskosten ist im Großen und Ganzen eingehalten worden, rund 500 000 Euro. Ein Drittel wurde von der Gemeinde getragen, als Geschenk zum 150. Geburtstag ihrer Kirche. Zwei Drittel übernahm die Bremische Evangelische Kirche.
Weitere Informationen
Die Pastoren der Friedensgemeinde sind weiterhin erreichbar. Bernd Klingbeil-Jahr unter Telefon 70 01 08 (E-Mail: klingbeil.jahr@posteo.de) und Jasper von Legat unter 01 76 / 34 11 68 64 (E-Mail: jasper.vonlegat@kirche-bremen.de). Informationen zur Nachbarschaftshilfe erteilt die Diakonie Bremen unter Telefon 1 63 84 25 oder online auf www.diakonie-bremen.de/nachbarschaftshilfe.