Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Herausforderung für Kliniken und Heime Pflege in Bremen ringt um Mitarbeiter

Corona verschärft die Situation der Beschäftigten in Kliniken und Pflegeheimen. Befürchtet wird, dass viele aus dem Beruf aussteigen. Zugleich verzögert die Pandemie bereits begonnene Reformen.
16.03.2021, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Pflege in Bremen ringt um Mitarbeiter
Von Timo Thalmann

Der Fachkräftemangel in der Pflege dürfte sich durch die Corona-Pandemie noch weiter verschärfen. „In einer Studie der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg hat jede sechste Pflegekraft angegeben, dass sie sich vorstellen kann, aus dem Beruf auszusteigen“, sagt Jennie Auffenberg, Referentin für Gesundheits- und Pflegepolitik in der Arbeitnehmerkammer Bremen. Und auch Heinz Rothgang äußert die „begründetet Annahme“, dass eine Reihe der aktuell dort Beschäftigten in naher Zukunft das Handtuch schmeißen könnte. Der Gesundheitsökonom und Leiter der Arbeitsgruppe Gesundheit, Pflege und Alterssicherung am Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen verweist auf überdurchschnittlich hohe Werte, wenn es um Arbeitsunfähigkeit, Frühverrentung und Erwerbsminderung gehe.

Nun kämen durch Corona weitere, zum Teil überlange Schichten und durchgearbeitete Wochenenden obendrauf. Rothgang: „Die gehen auf dem Zahnfleisch“. Auch bei der Situation in den Krankenhäusern dürfe man sich trotz derzeit zurückgehender Coronazahlen in den Intensivstationen keine Illusionen machen. „Die Hälfte der Krankenhaus-Intensivbereiche ist auch jetzt noch nicht im Normalbetrieb.“

Vor diesem Hintergrund hat ein Bericht für Aufregung gesorgt, nach dem die Zahl der Beschäftigten in der Pflege zwischen Anfang April und Ende Juli 2020 bereits um mehr als 9000 zurückgegangen sei, davon knapp 4000 in der Altenpflege und über 5000 in den Kliniken. Demnach habe die befürchtete Kündigungswelle schon begonnen. Das ging aus Zahlen der Bundesagentur für Arbeit hervor, die für eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag ausgewertet wurden. Eine regionale Analyse ergab sogar, dass im Vergleich aller Bundesländer Bremen relativ zur Bevölkerung die meisten Pflegekräfte in seinen Kliniken verloren hat.

Doch diese Darstellung hält Rothgang allenfalls für einen Zwischenstand. Ihm zufolge haben sich die Zahlen ab August 2020 wieder normalisiert. „Das war vermutlich eine coronabedingte Delle.“ Die Kliniken seien im Frühjahr vorigen Jahres aufgefordert worden, Kapazitäten freizuhalten und Operationen zu verschieben. Vor diesem Hintergrund habe es stellenweise sogar Kurzarbeit gegeben. „Sind dann Mitarbeiter regulär ausgeschieden, sind viele Stellen nicht sofort nachbesetzt worden.“ Das habe man wohl im Spätsommer und Herbst nachgeholt.

Lesen Sie auch

Für Auffenberg ist ohnehin die langfristige Entwicklung bedeutsamer, und da blieb Bremen lange Zeit hinter der Entwicklung des Bundes zurück. „Während seit 2007 überall in den Kliniken die Zahl der Pflegekräfte gestiegen ist, ging sie in Bremen lange Zeit zurück. Erst seit 2017 haben wir hier wieder einen Zuwachs.“

Problematisch bleibt es auch in der Altenpflege. Fast ein halbes Jahr braucht es in diesem Bereich, um hier eine offene Stelle wieder zu besetzen. Als eine besondere Hürde gilt dabei nicht zuletzt eine aktuell starre Fachkraftquote von 50 Prozent: Mindestens jeder zweite Beschäftigte muss ausgebildeter Alten- oder Krankenpfleger sein. Rothgang hat im Auftrag der gesetzlichen Krankenversicherungen deshalb in einer breit angelegten Studie die Arbeit in den Pflegeeinrichtungen unter die Lupe genommen. Das Ziel war, neue flexiblere Instrumente der Personalbemessung zu entwickeln. „Dabei konnten wir zeigen, dass eine qualitativ hochwertige Pflege mit einer durchschnittlichen Fachkraftquote von 38 Prozent machbar ist“, sagt der Wissenschaftler. Zugleich funktioniere das aber nur mit insgesamt mehr Mitarbeitern, sprich: rund 100.000 zusätzlichen Assistenzkräften für ganz Deutschland. Die ersten Schritte zur Umsetzung sind tatsächlich erfolgt: Mit dem seit Januar geltenden Versorgungsverbesserungsgesetz sind 20.000 dieser Stellen durch die Pflegekassen finanziert. Ein Zeitplan sieht bis 2025 weiter Zuwächse vor.

Was noch notwendig sei, seien tiefe Eingriffe in die Organisation der Arbeit in den Einrichtungen. „Wir haben festgestellt, dass derzeit Assistenzkräfte ein Viertel ihrer Arbeitszeit mit Tätigkeiten verbringen, für die sie eigentlich nicht ausgebildet sind, andersrum befassen sich examinierte Kräfte in der Hälfte der Zeit mit Aufgaben, die sie an die Assistenzen delegieren könnten“ sagt Rothgang und vermutet in dieser Schieflage eine Ursache für die verbreitete Unzufriedenheit der Mitarbeiter.

Der Gesundheitsökonom ist überzeugt, dass der Leidensdruck hoch genug ist, um solche Veränderungen auf den Weg zu bringen. „Bei uns melden sich zahlreiche Träger und Einrichtungsleiter, die lieber heute als morgen entsprechende Modellprojekte starten möchten“, berichtet er. Eigentlich wollte das Gesundheitsministerium solche Modellvorhaben auch ab März 2020 möglich machen. Doch genau dann begann die Corona-Pandemie.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)