Er soll zwei älteren Pflegeheimbewohnerinnen Medikamente gespritzt haben, obwohl es dafür keinen Grund gab und eine Frau damit sogar in Lebensgefahr gebracht haben: Ein 39 Jahre alter Pflegehelfer aus Bremen ist von der Staatsanwaltschaft Bremen wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt worden. Ende Oktober soll der Prozess beginnen. Dies bestätigte Jan Stegemann, stellvertretender Sprecher des Landgerichts, auf Nachfrage. Zuerst hatte die "Bild" darüber berichtet.
Der 39-Jährige war Anfang April festgenommen worden, nachdem eine 75-Jährige ins Krankenhaus gekommen war. Die Ärzte hatten damals Verdacht geschöpft, weil der Frau ohne medizinische Notwendigkeit Medikamente gespritzt worden waren. In der Anklageschrift heißt es laut Landgericht, dass der Mann der Frau zwischen dem 26. und 29. März 2019 Insulin gespritzt haben soll. Danach hatte er selbst die Rettungskräfte angerufen.
Aus diesem Grund werde dem Angeklagten nicht versuchter Mord vorgeworfen, wie es die Staatsanwaltschaft gefordert hatte. Das Schwurgericht werte das Verhalten des Mannes als Rücktrittsgedanken, sagte Stegemann. "Wenn der Notarzt nicht alarmiert worden wäre, wäre die Frau mit großer Wahrscheinlichkeit verstorben." Erst nach 48 Stunden intensivmedizinischer Behandlung war die 75-Jährige laut der Anklageschrift nicht mehr in einem lebensbedrohlichen Zustand. In dem zweiten Fall, der sich am 30. März ereignet haben soll, soll die Frau unverletzt geblieben sein.
Die abweichende Entscheidung des Gerichts sei das Ergebnis "eines normalen Prüfvorgangs", erklärte Frank Passade, Sprecher der Staatsanwaltschaft. "Das heißt aber nicht, dass der Angeklagte am Ende nicht wegen eines versuchten Tötungsdelikts verurteilt werden kann."
Bildung einer Sonderermittlungsgruppe
Der 39-Jährige hatte bereits bei seiner Vernehmung gestanden, der 75-jährigen Heimbewohnerin absichtlich die unnötigen Medikamente gegeben zu haben. Der Mann hatte in einem Pflegeheim in Bremen-Mitte gearbeitet. Bevor er dort angestellt wurde, soll er über eine Zeitarbeitsfirma in 35 weiteren Pflegeeinrichtungen gearbeitet haben. Die Polizei hatte eine Sonderermittlungsgruppe gebildet, um mögliche weitere Taten aufzudecken. Im Zuge dieser Ermittlungen sei der zweite Fall ans Licht gekommen, sagte Stegemann.
Ingolf Semper, Sprecher von Bethel im Norden, dem Träger der Einrichtung, betonte die gute und enge Zusammenarbeit mit der Polizei. "Wir sind froh, dass der Fall entdeckt wurde", sagt er. "Auch wenn so etwas für die anderen Mitarbeiter zunächst keine einfache Situation war." Inzwischen seien die Geschehnisse aufgearbeitet. Auch mit den Angehörigen der Bewohner seien viele Gespräche geführt worden. "In so einer Situation ist vor allem Transparenz wichtig", sagte Semper.
Nachdem die Vorfälle bekannt geworden waren, waren die Abläufe in dem Seniorenheim durch die Wohn- und Betreuungsaufsicht der Sozialbehörde untersucht worden. Überprüft worden war laut Bernd Schneider, Sprecher des Ressorts, auch der Zugang zu dem Wirkstoff Insulin, der strengen Auflagen unterliegt, sowie andere Faktoren, die die mögliche Tat hätten begünstigen können. Schneider: "In der Einrichtung ist ein Belegungsstopp verhängt worden." Diese Maßnahme, frei gewordene Betten vorerst nicht neu zu belegen, diene dazu, Probleme in der Organisation des Arbeitsalltags zu lösen. Laut Schneider sind dem Pflegeheim in dieser Hinsicht Auflagen erteilt worden.
"Bei Problemen in Einrichtungen ist grundsätzlich die Wohn- und Betreuungsaufsicht ansprechbar", sagte Schneider. "Es können sich Bewohnerinnen und Bewohner melden, aber auch Angehörige oder das Personal selbst. Die Anrufer können sich auch anonym melden." Die Wohn- und Betreuungsaufsicht gehe jedem Hinweis auf Missstände nach.
Der Prozess beginnt am 29. Oktober um 9 Uhr. Bis zur Urteilsverkündung sind neun weitere Verhandlungstage angesetzt.
+++ Dieser Artikel wurde am 17.10.19 um 8 Uhr aktualisiert +++