Lehesterdeich. Den Pflegenotstand gibt es nicht nur in Deutschland, sondern auch im Nachbarland Polen. Pflegefachkräfte müssen dort sogar drei Jahre studieren. Viele wandern von Polen aus ab ins Ausland, für manche ist Deutschland das Land ihrer Wahl. Dass die Gründe für das Verlassen ihrer polnischen Heimat vielfältig sind, schildern drei junge Frauen, die derzeit ein Praktikum im Stiftungsdorf Hollergrund machen, einem Pflegeheim der Bremer Heimstiftung. Nach mehreren Monaten Praxiserfahrungen ist es für sie an der Zeit, einen Rückblick zu halten und von ihren Erfahrungen zu berichten.
Die drei Polinnen, alle 22 Jahre alt, absolvieren ein Bachelor-Studium „Krankenpflege“ an der medizinischen Universität Breslau und der Hochschule Hirschberg. Im Rahmen ihres Studiums müssen sie etwa 400 Stunden an Praktika pro Jahr absolvieren. Sie sammeln dabei Erfahrungen im Umgang mit Kranken und Pflegebedürftigen. Dank der Projektkoordinatorin Patrycja Kniejska von der Bremer Heimstiftung fiel die Wahl auf ein Praktikum in Bremen. Und weil alle drei gut Deutsch sprechen, war der Klönschnack mit alten Leuten oder die Kommunikation mit deutschen Kollegen und der Heimleitung kein Problem für sie.
Eine der drei, Aleksandra Solarz, ist bereits zum zweiten Mal im Stiftungsdorf Hollergrund. „Mir hat die internationale Zusammensetzung des Teams gut gefallen, aber auch die wechselnden Aufgaben bei der Arbeit, so dass es nie langweilig wurde“, sagt Solarz. Außer dem Pflegedienst mit Senioren und der Krankenpflege, wozu zum Beispiel Blutdruckmessen gehört, hätte sie den Job in seiner ganzen Bandbreite kennengelernt: sich um den Haushalt kümmern, Essen ausgeben und das Geschirr abräumen. Bei Tätigkeiten in der ambulanten Pflege ist sie auch immer wieder mal raus gekommen, wenn sie Senioren in ihren Wohnungen besucht hat. In Polen beschränke sich die Arbeit weitgehend auf die Behandlung der Bewohner und Patienten, sagt sie. Pflege habe sie hier in einem umfassenderen Sinn erfahren: mit den Heimbewohnern einen Klönschnack halten, Spaziergänge machen oder ihnen etwas vorlesen, vor allem aber auch, den Einkauf für sie zu besorgen. „Die Arbeiten sind individuell sehr verschieden“, sagt Studentin Aleksandra Solarz, „weil jeder Mensch unterschiedliche Neigungen und Befindlichkeiten hat.“
Als Absolventin wiederkommen
Ihre Kommilitonin Gabriela Gnatowska schätzt besonders die Ruhe, mit der im Stiftungsdorf alles abgehe, was wohl auch mit der Lage, angrenzend an die grünen Wiesen des Naturschutzgebiets Hollerland, zu tun habe. Die beiden wie auch die dritte im Bunde, Majka Zurczak, sind sich einig: Sie würden nach Absolvierung des Studiums gern wieder nach Deutschland zurückkommen.
Die vielfältige Arbeit und die ruhigen Abläufe werden von allen drei Studentinnen geschätzt, doch noch handfestere Gründe kommen hinzu, wie der Unterschied in der Bezahlung: Selbst mit der akademischen Ausbildung im Hintergrund verdient man in Polen im Pflege- und Krankendienst nicht mehr als 600 Euro im Monat, wobei in geringem Umfang Zuschläge für Nachtdienst hinzukommen. „Und in Polen beträgt die Arbeitszeit für Pflegekräfte zwölf Stunden am Tag, in Deutschland nur acht“, sagt Aleksandra Solarz, „in Polen muss einer die Arbeit von fünf Leuten machen, und man hat es mit hierarchischen Strukturen zu tun: die Arbeit wird einem einfach zugewiesen, und man hat kaum Kontakt zur Leitung.“
Auch in Bezug auf den Komfort der Heimbewohner seien die Standards in Polen auf einem niedrigeren Niveau als in Deutschland: „Bei einem amerikanischen Privatunternehmen, das ein Pflegeheim in Polen betreibt, mussten sich vier Personen eine Toilette teilen, mit der Begründung, das würde die sozialen Kontakte fördern“, sagt Patrycja Kniejska, die alle drei Studentinnen betreut und das Projekt zusammen mit einer polnischen Kollegin vor einem Jahr ins Leben gerufen hat.
Die Standards seien in Deutschland beim Pflegedienst generell höher: „Für die Pflege alter Menschen wird in Polen einfach weniger Aufwand betrieben“, weiß Patrycja Kniejska, „viele leben auch in den Heimen allein und verbringen die meiste Zeit vorm Fernseher.“
„Auch die Weiterbildungschancen sind in Deutschland weit besser als in Polen, man kann im Pflegebereich in viele verschiedene Richtungen gehen“, sagt Anna Hartwich, Leiterin des Pflegedienstes im Stiftungsdorf Hollergrund. Viele Polen seien wegen der dortigen geringen Karrierechancen frustriert seien.
Mehr Geld, kürzere Arbeitszeiten, aber auch das Betriebsklima in den Pflegeheimen seien ausschlaggebend, dass die drei polnischen Studenten ihrer Heimat den Rücken kehren wollen. „Wir setzen sehr auf Teamarbeit, und bei uns werden Probleme gemeinsam besprochen“, sagt Anna Hartwich, und das sei in Polen noch anders, ergänzt Patrycja Kniejska. Dort werde die Arbeit meist einfach nur angewiesen. "Nach dem Motto: Nun mach mal!"
Mit dem Praktikum in einem Bremer Pflegeheim wollen die polnischen Hochschulen und die Bremer Heimstiftung eine gute Lösung für alle Beteiligten schaffen: Die Studierenden erhalten Einblicke in die Pflege- und Betreuungskonzepte in Deutschland, und die Heimstiftung kann künftig gut ausgebildeten Pflegenachwuchs aus dem Ausland für sich gewinnen. „Wir haben derzeit offene Stellen, wie es angesichts des Fachkräftemangels im Pflegebereich üblich ist“, sagt Anna Hartwich vom Stiftungsdorf. Projektkoordinatorin Patrycja Kniejska freut sich über die insgesamt gelungene Kooperation: „Im Anschluss an ihre Ausbildung können die drei Praktikantinnen in den Häusern der Bremer Heimstiftung ein Trainerjahr absolvieren. Und wir hoffen schon im nächsten Jahr die ersten Krankenpflegerinnen aus Polen bei uns begrüßen zu können.“