Herr Wesemann, gemeinhin wird angenommen, dass die langen Bearbeitungszeiten bei kriminaltechnischen Untersuchungen (KTU) den Tätern zugute kommen. Sie dagegen sagen, dass die Bearbeitungsrückstände oft auch aus Tätersicht untragbar ist.
Horst Wesemann: Richtig. Gegenwärtig beträgt die Bearbeitungsdauer in der KTU 48 Monate. Für die Betroffenen ein katastrophaler Zustand.
Warum?Weil von den Ergebnissen dieser Untersuchungen die Strafe abhängt. In der „Chemie“ werden sichergestellte Betäubungsmittel darauf untersucht, um was es sich handelt und deren Wirkstoffgehalt bestimmt. Übersteigt die gemessene Wirkstoffmenge den Grenzwert für Cannabisprodukte von 7,5 Gramm THC (Tetrahydrocannabinol) liegt ein Verbrechen vor. Die Strafandrohung von zwölf Monaten Freiheitsstrafe wird bei Ersttätern zwar regelmäßig zur Bewährung ausgesetzt. Doch einen Automatismus gibt es da nicht. Und das bleibt natürlich nicht ohne Folgen.
Haben Sie ein Beispiel?Bei einem jungen Mann wurde 2015 eine kleine Menge Marihuana von circa 25 Gramm sichergestellt. Die Eltern wurden informiert. Angesichts der Bruttomenge konnte er nicht davon ausgehen, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellt. In Bremen gibt es keine verbindlichen Mengenangaben, bis sechs Gramm brutto ist eine Einstellung aber wahrscheinlich. Die Ungewissheit über den Ausgang des Verfahrens führte zu einer starken psychischen Belastung der gesamten Familie und beeinträchtigte die Ausbildung des jungen Mannes, erst in der Schule, anschließend in der Lehre.
Wie ging der Fall aus?Bislang noch gar nicht. Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft über strafrechtliche Sanktionen wurde für etwa Mai 2019 angekündigt. Bis dahin bleibt für ihn und seine Familie die Ungewissheit. Es gibt aber auch Fälle, bei denen den Betroffenen ganz konkrete Nachteile aus dem Bearbeitungsrückstand der KTU entstehen.
Einer meiner Mandanten befindet sich wegen einer anderen Sache in Strafhaft. Bei ihm wurde ebenfalls eine kleine Menge an Marihuana und „weißes Pulver“ sichergestellt. Neben den üblichen Disziplinarmaßnahmen in der Justizvollzugsanstalt wurde ein neues Verfahren eingeleitet. Bis zu dessen Abschluss werden dem Inhaftierten sämtliche Lockerungen verwehrt: Ausgang, Urlaub, Offener Vollzug, Berufsfreigang und letztlich auch die Entlassungsvorbereitung. Weil die erforderlichen Erprobungsdurchläufe nicht zugelassen wurden, kann er nicht damit rechnen, dass die Vollstreckung der Strafe zum Zweidrittel-Zeitpunkt ausgesetzt wird.
Die Kripo sieht Licht am Ende des Tunnels. Teilen Sie diesen Optimismus?Nein, denn der unhaltbare Zustand wird sich in überschaubarer Zukunft wohl nicht verbessern. Die neu eingestellten Sachverständigen werden zum Teil erst 2019 eingearbeitet und erst danach tätig sein können. Eine Aufarbeitung der Halden erscheint kurzfristig damit nicht möglich.
Hätten Sie einen Lösungsvorschlag?Es sollte ein Schnitt gemacht werden, wie es ja auch Innensenator Mäurer in der Innendeputaion angedeutet hat. Zu wünschen wäre, dass jedenfalls die auf Halde lagernden Kleinmengen von Cannabisprodukten bis 50 Gramm vernichtet und die Verfahren eingestellt werden. Der Grenzwert von 7,5 Gramm THC dürfte bei derartigen Mengen nicht erreicht werden. Sozusagen eine kleine Amnestie. Eine Änderung der Drogenpolitik insgesamt und Legalisierung von Cannabis würde noch mehr Entlastung bringen.
Das Interview führte Ralf Michel.Horst Wesemann ist Strafverteidiger. Der 69-Jährige ist parteiloses Mitglied in der Innendeputation für die Fraktion Die Linke.