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Präsidentenwahl am Sonntag Wie ein Stammtisch polnische und deutsche Bremer zusammenbringt

Ein Stammtisch bringt polnische und deutsche Bremer an einen Tisch. Sie sprechen darüber, was sie verbindet, aber auch, dass der deutsche Nachbar noch immer ein blinder Fleck für viele Mitbürger ist.
17.05.2025, 05:00 Uhr
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Von Karolina Benedyk

Anja sitzt kurz vor 19 Uhr allein am Tisch. Sie blickt auf, als sich zwei Männer auf sie zu bewegen. "Seid ihr auch für den Stammtisch da?", fragt sie. Die drei kommen ins Gespräch, stellen sich vor. Schnell steht die Frage aller Fragen im Raum: "Welchen Bezug habt ihr zu Polen?"

Die deutsch-polnische Gesellschaft lädt jeden letzten Dienstag des Monats zum Stammtisch in die Jugendherberge Schirrmann’s ein. Menschen polnischer Herkunft sind die drittgrößte Bevölkerungsgruppe in Bremen nach Einwanderern aus der Türkei und Syrien. Über 20.000 Menschen mit polnischer Herkunft leben in der Stadt. Die Menschen repräsentiert die deutsch-polnische Gesellschaft, die dieses Jahr ihr fünfzigstes Jubiläum feiert. Das Treffen an der Kalkstraße 6 ist für alle Menschen offen. Der WESER-KURIER hat sich einen Abend dazugesetzt und zugehört.

Anja erzählt, dass sie an der Volkshochschule einen Polnischkurs besucht. Bislang mit mäßigem Erfolg. Über den Verteiler des Kurses erfuhr sie von dem Stammtisch. Sie interessiere sich für das Land, auch wenn ihre Eltern keine polnischen Wurzeln haben. Anja hatte schon früh Kontakt zu dem deutschen Nachbarn. Sie ist im sächsischen Weißwasser aufgewachsen, im Landkreis Görlitz. Nach der EU-Osterweiterung 2004 verschwamm die Grenze zwischen den beiden Staaten. An dem Grenzfluss, der Lausitzer Neiße, wechselte Anja die Seiten, ohne es wahrzunehmen. Deutschland, Polen. Polska, Niemcy.

In ihrer Heimat, der Oberlausitz, stehen Schilder in deutscher und sorbischer Sprache. Lange hat sich nicht verstanden, dass Sorbisch und Polnisch zwei verschiedene Sprachen sind. Noch etwas länger, um zu erfahren, dass auch sie zum Teil Sorbin ist. Sie erkannte, wie wenig sich ihre Mitmenschen für das slawische, landlose Volk oder Polen interessieren. Hier am Stammtisch will sie Kontakte knüpfen, sich austauschen und mehr vom Land und seinen Leuten erfahren.

In der Zwischenzeit kommen immer mehr Menschen an den Tisch, bis zu 20 sind es im Laufe des Abends. In der Tischmitte hat die Vorstandsvorsitzende der deutsch-polnischen Gesellschaft in Bremen, Katarzyna Weichert, Prospekte des Sommerfestes und Veranstaltungsankündigungen ausgelegt.

Gespräche auf Deutsch und Polnisch

Dastin sitzt Anja schräg gegenüber und hört ihr zu. Dann erzählt er seine Geschichte. Auch er ist in Deutschland geboren, seine Eltern stammen aus Polen. Und wie viele in Deutschland geborenen Polen spricht er die Sprache nur holprig. Beim Stammtisch dabei zu sein, ist für ihn der Versuch, an seine polnischen Wurzeln anzuknüpfen. In seine deutschen Sätze mogeln sich polnische Begriffe, wenn er über die Heimat seiner Eltern spricht. Er sagt „babcia“ anstatt Oma und „nie wiem“, wenn er nicht weiterweiß.

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Auch bei den anderen zehn Teilnehmern am Tisch wechseln die Gespräche wie selbstverständlich vom Deutschen ins Polnische und zurück in Sekundenschnelle. Dann wandert der Blick von Anja und Dastin zu Martin, dem Ältesten der Dreierrunde. Er sei vor 30 Jahren nach Deutschland gekommen. Oder ist es noch länger her? Er erzählt, dass die Zeiten in seiner Erinnerung verschwimmen. "Und jetzt mal ehrlich: Zwischen Deutschland und Polen erkennt man schon fast keinen Unterschied", sagt Martin. Das sei noch anders gewesen, als er nach Deutschland kam. Das Land hat sich in den vergangenen Jahrzehnten so rasant schnell verändert, dass es für Weggezogene schwer zu begreifen sei. Martin kommt aus Breslau. In den Jahren entwickelte sich die Hauptstadt der niederschlesischen Woiwodschaft zur Metropole. 2016 wurde sie zur europäischen Kulturhauptstadt ernannt.

Christa Nalazek hört gebannt zu. Sie kennt die Entwicklung Polens gut. Mit eigenen Augen sah sie den Aufbau des Bremer Städtepartners Danzig. "Danzig kenne ich seit 1981", sagt sie. Als sie die Stadt damals besuchte, dachte sie sich: "Gott sei Dank lebe ich in Bremen." Mittlerweile habe die Hafenstadt im Norden Polens Bremen überholt, sagt sie: "Die Speicherinsel verbindet alte Elemente mit moderner Architektur. Das Zweite-Weltkriegs-Museum und die Solidaritätswerft sind Hingucker", sagt sie. Die Polen würden sich trauen, Neues auszuprobieren. Diesen Mut vermisse sie in Bremen.

Sie und ihr Mann gehören zu den Ersten, die den deutsch-polnischen Austausch in Bremen förderten. Ende der Siebzigerjahre fing das an. Sie organisierten die Treffen der Pfadfinder. „Noch bevor das polnische Kriegsrecht ausgerufen wurde“, sagt sie.

Zwischen Vergangenheit und Gegenwart

Die Gespräche am Tisch drehen sich immer wieder um die Vergangenheit und die polnische Entwicklung. So als ob es schwer fassbar wäre, wie schnell sich der deutsche Nachbar entwickelte. „So bauen wir Polen unser Selbstbewusstsein auf“, sagt eine Frau am Tisch. Sie ärgere es, dass Deutsche Polen noch immer mit Essen, Putzfrauen und Handwerkern verbinden. Die Stereotype haben sich gehalten. „Wir sind aber so viel mehr“, sagt sie.

Auch Günther Schwarz, Jahrgang 1949, ärgert sich über die Westzentriertheit der Deutschen. Er ertappte sich selbst dabei, wie wenig er über das Land wusste, als er sich mit einer Polin anfreundete. Er las sich in die Geschichte ein, besuchte polnische Kulturveranstaltungen. Dann fiel ihm auf, wie viele Bürgerinnen und Bürger in Deutschland polnische Wurzeln haben. Wie viele Künstler, Musiker, Dozenten aus Polen kommen. Und auch, wie unsichtbar sie noch immer sind.

Er hat zufällig vom Stammtisch erfahren. Er bleibt meistens nicht bis zum Ende. "Die erste halbe Stunde wird Deutsch gesprochen, dann wechseln alle ins Polnische", sagt er. Er sei zwar schon einige Male durch das Land gereist, die Sprache hat er aber nie gelernt. "Zu schwierig."

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Info

Polnisches Leben in Bremen

Zum 50-jährigen Jubiläum veranstaltet die deutsch-polnische Gesellschaft (DPG) ein Kulturfest am Sonnabend, 21. Juni. Die erste Vorsitzende, Katarzyna Weichert, will das polnische Leben in Bremen präsenter machen. Dafür organisiert die DPG Kulturveranstaltungen, politische Diskussionen, Sprachkurse und Reisen.

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