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Interview "Die Menschen nehmen das Bremer Rathaus als Zentrum wahr"

Um in der Unesco-Welterbeliste zu landen, brauchte Bremen 2003/04 zwei Anläufe. Altbürgermeister Henning Scherf erinnert sich an die damaligen Herausforderungen und wie sie gemeistert wurden.
29.07.2024, 05:00 Uhr
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Von Frank Hethey

Herr Scherf, im Juli 2004 wurde Bremen mit dem Rathaus und dem Roland in die Unesco-Welterbeliste aufgenommen.

Henning Scherf: Bis heute ist das Rathaus eine lebendige Begegnungsstätte zwischen Politik und Bürgern, auch das würdigt der Welterbestatus. Dazu eine schöne Geschichte: Als in meiner Amtszeit die Ministerpräsidentenkonferenz im Bremer Rathaus stattfand, gab es gleichzeitig eine Hochzeit. Da kam mein bayrischer Kollege Edmund Stoiber auf mich zu und fragte: Was machen die denn hier? Wir sind doch hier. In München wäre das undenkbar, da wären überall Polizeiriegel. Da sagte ich: Lieber Herr Stoiber, das ist so eine nette Braut. Gehen Sie doch mal hin und gratulieren ihr zur Hochzeit. Und er hat das tatsächlich gemacht. Das ist eben ein lebendiges Rathaus. Das ist gewachsene Stadtgeschichte.

Darüber gerät aber leicht in Vergessenheit, dass Bremen beim ersten Anlauf 2003 scheiterte. Musste Bremen damals Lehrgeld zahlen?

Bei dem ersten Anlauf war Elisabeth ­Motschmann federführend. Sie war Staatsrätin für Kultur, mit dem Eintrag in die Welterbeliste wollte sie in die Geschichtsbücher eingehen. Mit ihren Mitarbeitern hat sie eigentlich eine ganz schmucke Bewerbungsschrift vorgelegt. Aber solche Bewerbungen kriegt die Jury in Paris natürlich zu Hunderten …

Hans-Joachim Manske von der Denkmalschutzbehörde erklärte sich das Scheitern im ersten Anlauf später damit, er habe den Eindruck gehabt, kleine Staaten seien bevorzugt worden.

Ich glaube, das Konzept war verwechselbar mit vielen ähnlichen Konzepten. Aber die entscheidenden Leute in Paris fragen nicht nach dem schicksten Werbekonzept. Die fragen: Gibt es eine Besonderheit? Das hat viel mit Geschichte und Außerordentlichkeit zu tun..

Was haben Sie dann geändert?

Den zweiten Anlauf haben wir mithilfe von Peter Reischauer gemacht, dem Protokollchef des Senats. Ganz wichtig dabei war auch Reinhard Hoffmann, der Chef der Senatskanzlei. Hoffmann und Reischauer haben das Konzept völlig umgeschrieben und reduziert. Die haben nicht den ganzen Marktplatz mit dem Schütting und der Bürgerhaus-Front und dem neuen Haus der Bürgerschaft mit aufgenommen. Sondern sich nur konzentriert auf das Rathaus und den Roland.

Und das kam besser an?

Das fand die Jury reizvoll, dass ein über 600 Jahre altes Gebäude all die Umbauten und Kriege überstanden hat und bis heute Zentrum der freien Hansestadt Bremen ist. Und das Gleiche gilt natürlich für den Roland. Dass dieses Symbol für Marktfreiheit und republikanisches Regieren lebendig ist. Wir sind das einzige Rathaus in der ganzen Welt, das Weltkulturerbe geworden ist.

Aber freie Städte haben auch in Italien eine große Rolle gespielt.

Sicher, Städte wie Bologna oder Venedig waren mal ganz große Adressen. Aber das heutige Venedig hat nicht annähernd den Status, den wir haben – die föderale Struktur ist in Italien unbekannt. Die großen italienischen Stadtstaaten aus dem Mittelalter sind heute entweder Museen wie Florenz und Venedig oder sind Industriestädte geworden. Aber die Selbstständigkeit, die sich die Hamburger und Bremer über die Jahrhunderte hinweg erarbeitet haben, die gibt es da nicht.

Sie würden also sagen, der Welterbestatus hat sich rentiert?

Auf jeden Fall. Ich bin auch froh, dass man jetzt Gott sei Dank einen Kompromiss gefunden hat, wie die Untere Rathaushalle in Zukunft genutzt werden soll – sowohl für Wechselausstellungen wie auch das Weltkulturerbe, das gefällt mir alles. Das ist lebendig, das ist keine Alibiveranstaltung, die nur noch irgendwelche Museumsfreaks beschäftigt. Das Rathaus ist die Mitte der Stadt, dafür interessieren sich die Leute. Die Menschen nehmen das Rathaus als Zentrum wahr.

Zur Person

Henning Scherf (85) war Bürgermeister, als Rathaus und Roland vor 20 Jahren den Unesco-Welterbestatus erhielten. Der Sozialdemokrat ist Ehrenmitglied des Fördervereins Welterbe Rathaus und Roland in Bremen.

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