Gut zwei Jahre lang beherrschte die Pandemie die Statistiken der Gesundheitsämter. Andere meldepflichtige Infektionskrankheiten spielten kaum eine Rolle. Seit einigen Monaten kehrt sich der Trend um: Andere Infektionskrankheiten kehren zurück, bei einigen fällt der Anstieg deutlich aus. Das zeigt eine aktuelle Statistik des Robert Koch-Instituts (RKI) jeweils für die erste bis 30. Kalenderwoche der Jahre 2021 und 2022.
Welche meldepflichtigen Infektionskrankheiten legen derzeit besonders zu?
Vor allem bei besonders infektiösen und schnell übertragbaren Krankheitserregern, etwa über Tröpfchen und Aerosole, ist die Zahl der gemeldeten Fälle bundesweit deutlich gestiegen. Das sind etwa Infektionen mit Noro- und Rotaviren, die zu Magen-Darm-Beschwerden führen. Bundesweit ist die Zahl der Noroviren-Infektionen in dem Vergleichszeitraum von 7301 auf 30.008 angewachsen, in Bremen von 23 auf 106 und in Niedersachsen von 317 auf 2015 Fälle. Diese Tendenz gibt es auch bei den Rotaviren. „Der Anstieg ist eindeutig auf den Wegfall der meisten Pandemie-Maßnahmen zurückzuführen. Zu Ausbrüchen kommt es häufig in Gemeinschaftsunterkünften, Pflegeheimen, Schulen oder Kitas“, sagt der Sprecher der Bremer Gesundheitsbehörde, Lukas Fuhrmann. Im Jahr 2019 wurden 618 Norovirus-Infektionen im Land Bremen gemeldet.
Noro- und Rotaviren sind vor allem in den Wintermonaten verbreitet. „Bei diesen schnell übertragbaren Infektionen kann man erwarten, dass sie sich wieder zügig auf dem Niveau der Vorjahre einpendeln“, so der Sprecher. Das sei auch bei der Grippe zu erwarten. In der Pandemie war die Influenza-Saison jeweils so gut wie ausgefallen. Einen ersten Nachholeffekt mit vielen Infektionen insbesondere bei Kindern gab es im April dieses Jahres, was laut Experten ungewöhnlich spät, aber auch den Pandemie-Lockerungen geschuldet sei. „Diese Welle gab es auch in Bremen, aber hier waren vorwiegend Erwachsene betroffen“, so Fuhrmann. Bislang wurden laut RKI 98 Grippefälle aus Bremen gemeldet; 2020 waren es 374, in 2021 sechs gemeldete Influenza-Fälle.
Gibt es in Bremen und Niedersachsen besondere Auffälligkeiten?
Bremen verzeichnet einen überdurchschnittlich hohen prozentualen Anstieg an Tuberkulose-Fällen – auf einem zahlenmäßig niedrigen Niveau: Die gemeldeten Infektionen sind von 29 auf 41 gestiegen, das ist eine Steigerung um 41 Prozent. In Brandenburg fiel der Anstieg von 48 auf 77 Fälle (60 Prozent) noch deutlicher aus. Bundesweit sanken dagegen die gemeldeten Tuberkulose-Infektionen von 2398 auf 2261. Tuberkulose wird durch Bakterien ausgelöst, die Erreger befallen überwiegend die Lunge. „Hier gibt es einen Zusammenhang mit Flucht- und Migrationsbewegungen seit Kriegsbeginn aus der Ukraine. Das Land hat eine besonders hohe Inzidenz“, so Fuhrmann. Laut der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin kommen in der Ukraine 73 Fälle auf 100.000 Einwohner, in Deutschland liegt die Inzidenz bei etwa fünf Fällen. „Grundsätzlich werden alle geflüchteten Menschen bei der Erstuntersuchung auf Tuberkulose getestet, bei Erwachsenen wird zusätzlich die Lunge geröntgt“, erklärt der Sprecher. Die Betroffenen seien daher bekannt und würden entsprechend behandelt. „Der Anstieg war erwartbar, konkrete Sorge wegen einer massiven Ausbreitung besteht nicht“, betont Fuhrmann. In den Vorjahren schwankten die jährlichen Tuberkulose-Fälle in Bremen zwischen 50 und 60. „In diesem Jahr werden es definitiv mehr sein.“ In Niedersachsen stieg die Zahl leicht von 151 auf 164 Fälle.
Auch bei den Windpocken fällt der Anstieg in Bremen mit am stärksten aus – nach Thüringen. Warum?
Bundesweit ist die Zahl von 3406 auf 5422 gestiegen – in Bremen von 34 auf 73, das ist ein Zuwachs um etwa 115 Prozent. „In diesem Jahr gab es zwei Ausbrüche in Gemeinschaftsunterkünften, bei den generell niedrigen Zahlen schlägt sich das auch hier entsprechend deutlich nieder“, erklärt der Sprecher. Im Land Bremen ist die Windpocken-Impfquote am niedrigsten: Laut Schuleingangsuntersuchungen lag sie 2018 für die erforderliche zweite Impfung bei 72,5 Prozent, der Bundesschnitt betrug 84,8 Prozent. „Bei der Impfquote gibt es definitiv Nachholbedarf, um etwa auch Ausbrüche in Kitas oder Schulen zu verhindern“, betont Fuhrmann. Im Februar 2020 hatte es an einer Grundschule im Steintorviertel einen Ausbruch gegeben, mehr als zehn Kinder waren auf Anordnung des Gesundheitsamtes vom Unterricht ausgeschlossen worden.