Die aktuelle Erkältungs- und Coronawelle macht vor Bremens Kinder- und Jugendärzten nicht Halt. Viele der Praxen haben ihre Kapazitätsgrenzen erreicht und nehmen keine neuen Patienten mehr auf, wie der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) in Bremen bestätigt. „Momentan gibt es in vielen Praxen dreimal so viele Atemwegsinfekte wie normalerweise in den Sommermonaten. Entsprechend angespannt ist die Situation“, sagt Marco Heuerding, Sprecher des Landesverbandes und Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin. Hinzu kommt ein Problem, das Eltern und erkrankte Kinder darüber hinaus belastet: Wie in vielen Teilen Deutschlands werden in Apotheken Medikamente für Kinder knapp, darunter Schmerz- und Fiebersäfte sowie bestimmte Nasensprays.
Dass diesen Sommer mehr Kinder als sonst erkranken, hängt nach Ansicht der Ärztevertreter mit der Pandemie zusammen. „Normalerweise machen Kinder in den Herbst- und Wintermonaten mehrere Infektionen durch“, sagt Heuerding. „Durch die Schutzmaßnahmen während der Pandemie fehlen diese, sodass viele Kinder quasi mit einem blanken Immunsystem in den Sommer gehen. Jetzt, wo wieder mehr Treffen stattfinden, tauschen sie die Viren untereinander aus, weshalb es zu den vielen Ansteckungen kommt.“ Das merke der Mediziner in seiner eigenen Praxis in der Berliner Freiheit. „Wenn wir zu Beginn unserer Infektsprechstunde die Tür aufschließen, warten mitunter bereits 20 bis 30 Eltern mit ihren Kindern im Flur“, sagt er.
Eltern zum Teil überbesorgt
Dabei ist der Sommer für die Kinder- und Jugendärzte eigentlich eine Zeit, in der sie Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen abarbeiten können. „Aktuell müssen die Praxen daneben noch die Akutpatienten betreuen“, sagt Heuerding. Aus der Masse die wirklich kranken Kinder herauszufiltern, sei nicht immer ganz einfach. Einige Eltern hätten während der Pandemie verlernt, mit mild verlaufenden Atemwegsinfektionen allein zurechtzukommen. „Es sind durchaus Fälle dabei, bei denen ein paar Tage Ruhe und ein warmer Tee mit Honig ausreichen würden“, so Heuerding.
Angespannt sei die Lage vornehmlich in Stadtteilen mit besonderen Herausforderungen, darunter Bremen-Nord, Vahr, Osterholz, Hemelingen, Walle oder Gröpelingen. Kinderärzte müssten immer mehr Aufgaben abseits des rein medizinischen Bereichs übernehmen, wie die Beratung der Eltern bei familiären Konflikten, psychischen Krisen und Erziehungsproblemen. „Es besteht inzwischen eine Überfrachtung mit zusätzlichen Herausforderungen, die eigentlich an anderer Stelle zu lösen wären, und das kostet Zeit“, sagt Heuerding.

Marco Heuerding, Kinderarzt und Sprecher des Bremer Landesverbands der Kinder- und Jugendärzte.
Zudem verschärft Personalmangel die Situation in den Praxen. Im Bremer Raum werden derzeit dringend medizinische Fachangestellte gesucht, in Niedersachsen fehlen vor allem auf dem Land Kinder- und Jugendärzte. Zwar können wegen der Überlastung kaum Neupatienten aufgenommen werden, doch akute Notfälle würden in beiden Bundesländern nicht abgewiesen. Um die Arbeit in den Praxen zu entlasten, rät Marco Heuerding, Termine für verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen mehrere Monate im Voraus zu vereinbaren.
Lieferengpässe bei Fiebermitteln und Nasensprays
Eltern kranker Kinder und Jugendlicher haben es derzeit nicht nur in den Arztpraxen schwer. Wie die Bremer Apothekenkammer auf Nachfrage mitteilt, gibt es auch in Bremen einen Lieferengpass bei Kindermedikamenten. Vor allem Schmerz- und Fiebersäfte sowie Zäpfchen mit den Wirkstoffen Ibuprofen und Paracetamol und einige Kinder-Nasensprays seien knapp oder nicht mehr zu beschaffen. Zu der erhöhten Nachfrage kämen Probleme von Zulieferern, die Lieferketten aufgrund des Krieges in der Ukraine und der Pandemie nicht einhalten könnten. „Da aus Kostengründen diese Wirkstoffe in Unternehmen, beispielsweise in China und Indien, produziert werden, sind diese aktuell sehr störanfällig“, sagt Isabel Justus, Geschäftsführerin der Apothekerkammer Bremen. Für Paracetamolsäfte gebe es in Deutschland einen einzigen Hersteller.
Auch in Niedersachsen haben die Apotheken Probleme. Um die Kinder versorgen zu können, stellen die Apotheken dort zurzeit mitunter selbst Paracetamol-Fiebersaft aus Tabletten her, heißt es von der dortigen Kammer. Ähnlich wird in Bremen verfahren. „Die Kinderärzte können entsprechende Rezepturen verordnen, die die Apotheken individuell herstellen. Dies bindet aber Zeit in den Apotheken, deren Personaldecke ebenfalls angespannt ist, und die individuelle Herstellung ist teurer“, sagt Justus. Zudem bemühten sich Apotheken um alternative Darreichungsformen und Hersteller. Langfristig ließen sich die Engpässe jedoch vor allem durch eine Verlegung der Produktion zurück nach Deutschland auflösen, betont Justus.