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Bremen ist Schlusslicht Kita-Krise: Arbeitnehmerkammer warnt vor verheerenden Folgen

Bremen ist bei einem Ländervergleich der Betreuungssituation von Kindern auf dem letzten Platz gelandet. Laut Arbeitnehmerkammer hat dies verheerende Folgen. So will der Senat das Problem anpacken.
10.08.2023, 17:26 Uhr
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Kita-Krise: Arbeitnehmerkammer warnt vor verheerenden Folgen
Von Björn Struß

In keinem anderen Bundesland lassen sich Kinder und Beruf so schlecht miteinander vereinbaren wie in Bremen. Zu dieser Erkenntnis kommt die Arbeitnehmerkammer Bremen in einer Analyse des Arbeitsmarkts und der Betreuungssituation. Demnach ist etwa jede zweite Mutter mit einem Kind im Krippen- oder Kita-Alter nicht erwerbstätig. Ursache dafür ist ein Mangel an Betreuungsplätzen, der in Bremen bundesweit am stärksten ausgeprägt ist.

Verglichen wurden unter anderem die sogenannten Betreuungslücken in den Bundesländern. Gemeint ist damit die Diskrepanz zwischen benötigten Krippen- und Kitaplätzen und den tatsächlich vorhandenen Kapazitäten. Laut Zahlen des Statistischen Bundesamts brauchten im vergangenen Jahr 99 Prozent der Eltern mit Kindern im Alter von drei bis fünf Jahren einen Betreuungsplatz. Tatsächlich gefunden haben diesen im Land Bremen aber nur 88 Prozent der Eltern. Dies ist der niedrigste Wert in ganz Deutschland. Zum Vergleich: Dem Spitzenreiter Mecklenburg-Vorpommern gelingt es, 96 Prozent der Drei- bis Fünfjährigen in einer Kita unterzubringen.

Die Arbeitnehmerkammer hat zudem verglichen, wie hoch der Anteil der berufstätigen Frauen in den Bundesländern insgesamt ist. Auch hier landet Bremen mit 67,8 Prozent auf dem letzten Platz. Etwa jede dritte Frau war demnach im Jahr 2021 nicht erwerbstätig. Primus ist in diesem Vergleich Sachsen mit einer Erwerbsquote von 75,4 Prozent.

Für Peer Rosenthal, Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer, ist dieser Zustand nicht hinnehmbar: „In keinem anderen Bundesland arbeiten so wenig Frauen und so wenig Mütter. Und nirgends ist die Betreuungslücke so groß. Das muss die Landesregierung in der nächsten Legislaturperiode ressortübergreifend ändern.“

Der Geschäftsführer erinnert auch an den Rechtsanspruch auf eine Betreuung für Kinder ab drei Jahren, die es schon seit 1996 gibt. Trotzdem gebe es nicht genügend Kitaplätze. „Das wirkt sich verheerend für die Eltern aus und verbaut vor allem Müttern den Weg in die berufliche und finanzielle Unabhängigkeit“, warnt Rosenthal.

Die Aufgabe, diesen Rechtsanspruch endlich zu erfüllen, müssen in der neuen Landesregierung insbesondere die Senatorinnen Sascha Aulepp und Claudia Schilling (beide SPD) anpacken. Aulepp ist Bildungssenatorin geblieben. Schilling verantwortete im alten Senat die Bereiche Wissenschaft und Häfen, nun ist sie Senatorin für Soziales und Arbeit. In ihrem Verantwortungsbereich verblieben ist die Justiz.

„Mein Ziel ist es, für alle Kinder einen Kitaplatz zur Verfügung zu stellen – und die Ausbauanstrengungen der letzten Jahre unterstreichen das deutlich“, sagt Aulepp. Kurz vor dem Ende der Legislatur hatte sie mit dem alten Senat beschlossen, bis zum Kita-Jahr 2028/29 insgesamt 42 neue Kitas mit 5000 Plätzen zu schaffen. Die geschätzten Kosten: 300 Millionen Euro. 

Neben den Räumlichkeiten braucht es aber auch Erzieherinnen und Erzieher. Schon jetzt bleiben Stellen unbesetzt, vielen Einrichtungen fehlt das Personal. Aus Sicht der Arbeitnehmerkammer ist es insbesondere eine attraktive Ausbildung, die gegen den Fachkräftemangel hilft. Konkret fordert Geschäftsführer Rosenthal, die praxisintegrierte Ausbildung (Pia) zur Regelausbildung an öffentlichen Fachschulen zu machen. Das Modellprojekt Pia hatte das Bildungsressort zuletzt von 50 auf 75 Plätze aufgestockt. Pia ist eine dreijährige Weiterbildung zum Erzieher an Privatschulen, die von Anfang an nach Tarif bezahlt wird. Das ist beliebt, es gab mehr Bewerber als Plätze.

Neben einem deutlichen Ausbau der Betreuungsplätze fordert die Arbeitnehmerkammer auch längere Öffnungszeiten. In Bremer Krippen und Kitas seien diese mit etwas mehr als acht Stunden vergleichsweise kurz. Großstädte mit ähnlicher Einwohnerzahl hielten ihre Kitas für rund neun Stunden offen, Leipzig oder Dresden sogar fast elf. Eine bessere Betreuung in den Randzeiten wünschten sich knapp 20 Prozent der Eltern, weil sie ihre Woche dann flexibler gestalten können.

Für diese Forderung zeigt Senatorin Aulepp wenig Verständnis: „Der ständige Ruf nach immer längeren Öffnungszeiten der Kindertageseinrichtungen, während Arbeitgeber weiterhin unflexibel bleiben und Väter weiterhin strikt in Vollzeit arbeiten, ist für mich sowohl aus kinder- als auch aus frauenpolitischer Sicht unerträglich.“

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Mehr Väter sind Alleinverdiener

Die für Eltern unzuverlässige Betreuungssituation wirkt sich auch darauf aus, wie sich Paare die Erziehungsarbeit aufteilen. Dies zeigt eine weitere Auswertung der Arbeitnehmerkammer von Zahlen des Statistischen Bundesamts. Demnach sind wieder mehr Väter Alleinversorger ihrer Familie: Der Mann arbeitet Vollzeit, die Frau überhaupt nicht. 2016 traf dies in Bremen auf 20 Prozent der Familien zu, drei Jahre später waren es 23,5 Prozent. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Wert lag 2019 in Deutschland bei 20 Prozent.

Claudia Schilling, Senatorin für Soziales und Arbeit, sieht Handlungsbedarf: „Keine Frage, wir brauchen mehr Frauen in Ausbildung und Arbeit.“ Der neue Senat habe dieses Ziel mit einer Fachkräftestrategie und einer Strategie für Gendergerechtigkeit zu einem Schwerpunkt für die kommenden Jahre gemacht. Schilling weiter: „In der neuen Legislaturperiode wollen wir außerdem eine Senatskommission zum Thema ,Geschlechtergerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt‘ einrichten.“

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