Um trotz fehlendem Fachpersonal mehr Kindern kurzfristig einen Kitaplatz zu bieten, will Bremens Landesregierung notfalls Standards in der Betreuung senken. Diesen Plan benennen SPD, Grüne und Linke im Koalitionsvertrag. "Wir werden auf jede Möglichkeit zum beschleunigten Kita-Ausbau zurückgreifen", heißt es im Koalitionsvertrag.
Dazu gehört auch, dass es künftig befristet möglich sein soll, Kitagruppen zu vergrößern. Zudem werden die Anforderungen an einen Teil des Kita-Personals gesenkt. Übergangsweise sollen auch räumliche Standards angetastet werden können. Zum Beispiel könnten künftig Kitas mit etwas kleineren Räumen oder einem kleineren Außengelände entstehen.
Zugleich nimmt sich die Koalition eine Aufstockung der Erzieher-Ausbildung vor. Die in Bremen noch relativ neue praxisintegrierte Ausbildung (PiA) soll massiv ausgeweitet werden. Die Koalitionäre wollen die Plätze bis 2024 verdreifachen und bis Ende der Legislaturperiode vervierfachen. Die Pia-Ausbildung ist beliebt und setzt auf eine klare Vergütung. Derzeit gibt es 50 Plätze. Außerdem sollen die Plätze an öffentlichen Erzieher-Fachschulen verdoppelt werden.
Allerdings ist klar, dass dies erst mittelfristig beim Kita-Ausbau helfen kann. Rot-Grün-Rot nimmt sich aber im Koalitionsvertrag vor, bereits in dieser Legislatur allen Kindern einen Kitaplatz zu bieten. Zuletzt fehlten mindestens 5000 Kitaplätze in der Stadt – viele davon in benachteiligten Stadtteilen.
Um schnell mehr Kindern einen Platz zu bieten, sollen jetzt auch Gruppen vergrößert werden können. Dies soll aber nicht flächendeckend angeordnet werden: "Einrichtungen sollen sich freiwillig entscheiden dürfen, mehr als 10 Kinder pro Krippengruppe oder mehr als 20 Kinder pro Elementargruppe aufzunehmen", heißt es im Koalitionsvertrag. Auch jetzt gibt es laut Bildungsressort bereits einzelne Kitas, die mit einer Ausnahmegenehmigung der Behörde ein 22. oder 23. Kind aufgenommen haben. Und auch wenn Eltern, die bei der Kita-Platzsuche leer ausgehen, das Recht auf Betreuung vor Gericht einklagen, bekommt ihr Kind meist einen Platz, indem es als 21. Kind in eine Gruppe kommt.
Die Gruppenvergrößerung galt bisher für Gewerkschaften als rotes Tuch. Die Kita-Beschäftigten seien schon jetzt im Alltag stark belastet, hieß es auch von Personalvertretungen. Zuletzt forderte die Gewerkschaft Verdi ganz im Gegenteil kleinere Kitagruppen statt größere. Gleichzeitig kritisieren Elternvertreter und neue Aktionsgruppen wie die Eltern-Initiative "Kitastrophe" die fehlenden Betreuungsplätze.
Die Koalition will nun größere Gruppen zumindest in gut bürgerlichen Stadtteilen ermöglichen. Gruppen in benachteiligten Quartieren (Sozialindikator 4 und 5) oder mit mehr als drei Förderkindern sollen nicht vergrößert werden. Für die zusätzlich aufgenommenen Kinder sollen die Kitas mehr Geld bekommen, und die dort Beschäftigten eine Zulage. "Wir wollen an die Träger und an die Gewerkschaften appellieren und an ihre Solidarität und sagen: Guckt doch mal, ob das geht, zusätzliche Kinder aufzunehmen", sagt der SPD-Landesvorsitzende Reinhold Wetjen.
Auch beim Personal sollen Qualifikationsanforderungen gesenkt werden können. "Laut Gesetz sollen in einer Gruppe von 20 Kindern immer eine Erzieherin und eine zweite Kraft arbeiten", sagt Reinhold Wetjen. "Die Zweitkraft könnte aber auch eine Sozialassistenz sein, was bei vielen Trägern auch bereits gemacht wird." Im Koalitionsvertrag ist zudem von "helfenden Händen ohne pädagogische Vorqualifikation" die Rede, die ebenfalls in den Kitas zum Einsatz kommen sollen. Künftig könnten Wetjen zufolge auch Personen ohne pädagogische Ausbildung als Zweitkraft in einer Gruppe arbeiten, wenn sie eine berufsbegleitende Weiterbildung machen.
Zuletzt hatte Bürgermeister Andreas Bovenschulte immer wieder betont, dass jedem Kind ein Kita-Platz geboten werden müsse – notfalls auch mit einer vorübergehenden Flexibilisierung bei den Qualifikationsstandards für Beschäftigte.
„Es gibt mehrere Stellschrauben, wie man beim Kita-Ausbau besser werden kann: Mehr Quereinsteiger in die Kitas zu holen ist eine Stellschraube, die Gruppengröße ist eine weitere", sagt Florian Pfeffer, Landesvorstandssprecher der Grünen. Es sei Konsens aller drei Koalitionspartner gewesen, dass zur Überbrückung – bis genügend Personal und Räume zur Verfügung stehen – beim Kita-Ausbau notfalls Standards abgesenkt werden müssten, sagt Pfeffer: "Das teilen wir alle.“
"Die Vergrößerung der Kitagruppen ist nur die Ultima Ratio, falls die anderen Maßnahmen nicht ausreichen", sagt Anna Fischer, Landessprecherin der Linken. Kita-Standards zu senken, sei für die Linken nicht leicht. Einerseits müsse man die Interessen von Familien ohne Kitaplatz berücksichtigen, andererseits stehe die Partei auch an der Seite von Beschäftigten, die sich gute Arbeitsbedingungen wünschten. "Wir tun das mit Bauchschmerzen, aber auch mit der Überzeugung, dass es nochmal eine Anstrengung zum Kita-Ausbau braucht", so Fischer.