Frau Schilling, dieser Tage haben die Arbeiten an Leichtbauhallen im Hulsberg-Quartier begonnen. Dort sollen dieses Jahr mehr als 400 Plätze für Flüchtlinge entstehen. Wie sehen die Pläne konkret aus?
Claudia Schilling: Die Leichtbauhalle entsteht nach dem gleichen Modell, das wir schon in der Überseestadt haben – dort allerdings mit rund 1200 Plätzen. Die Hallen sind wärmeisoliert und winterfest, der Innenausbau erfolgt mit Kabinen, so gibt es zumindest ein gewisses Maß an Privatsphäre. Mit einem Appartement oder einer eigenen Wohnung ist das natürlich nicht vergleichbar – aber das ist einfach den Umständen geschuldet.
Warum sollen diese Bauten nur für zwei Jahre Plätze bieten?
Grundsätzlich soll es auf dem Gelände ja Wohnbebauung geben. Aber es ist kein Geheimnis, dass die Baubranche angesichts deutlich gestiegener Kosten für Baumaterialien und gestiegener Zinsen gerade in einer unglaublich schwierigen Phase steckt. Vor diesem Hintergrund haben wir das Angebot bekommen, das Gelände vorübergehend zu nutzen. Aber wir wollen der städtebaulichen Entwicklung im Quartier natürlich nicht im Wege stehen, daher die Befristung.
Haben Sie weitere Orte im Stadtgebiet im Blick, um zusätzliche Kapazitäten zu schaffen?
Manchmal ist es schön, dass Bremen ein kleiner, überschaubarer Stadtstaat ist. Die Kehrseite ist, dass wir, anders als die Flächenländer, kaum Platz finden für weitere Unterkünfte. In der Vergangenheit hat der Bund mit dem Bundeswehrhochhaus und dem Kasernengelände Huckelriede aushelfen können. Beide steht jetzt nicht mehr zur Verfügung. Wir suchen permanent, wir prüfen Angebote, aber das ist ein ausgesprochen mühseliges Geschäft.
Rechnen Sie im Zuge der EU-Asylreform mit steigenden Zahlen von Flüchtlingen in Deutschland und Bremen?
Das ist sehr schwer zu sagen. Der jetzige Kompromiss regelt ja zwei wichtige Aspekte, die entgegengesetzte Wirkung entfalten dürften: Auf der einen Seite wird in Krisenzeiten die Einreise in die Europäische Union deutlich erschwert. Das würde die Zugangszahlen vermindern, auch für uns. Auf der anderen Seite wird mit dem Kompromiss die Regelung außer Kraft gesetzt, die sicherstellt, dass ein Antragsteller sein Verfahren dort durchlaufen soll, wo er erstmals den Boden der EU betreten hat. Damit wächst für die Ankunftsländer die Verlockung, die Menschen einfach wegzuschicken, auch nach Deutschland. Das hätte natürlich auch Folgen für Bremen. Wie sich diese beiden Effekte im Ergebnis und auf lange Sicht auswirken, lässt sich im Moment noch nicht wirklich abschätzen.
Wie sehen Sie Bremen auf weitere Flüchtlinge vorbereitet?
Nachdem Bremen im Aufnahmesystem die hohen Zahlen in 2015 und 2022 bewältigt hat – wenn auch unter größter Kraftanstrengung – bin ich zuversichtlich, dass Verwaltung, Träger, Politik und Zivilgesellschaft das bei den jetzigen Zahlen auch weiterhin schaffen werden. Ich sehe aber auch, dass wir die Langstrecke bewältigen müssen – also: Wohnungsbau, Sprachkurse, Kita-Betreuung, Schule, berufliche Integration und vieles mehr. Da stehen wir vor Herausforderungen, die uns wirklich viel abverlangen. Zumal wir in Bremen stärker gefordert sind als die meisten anderen Bundesländer: Gemessen an unserer Bevölkerung nehmen wir mehr Geflüchtete auf, weil in den Verteilschlüssel für Geflüchtete auch die Steuerkraft eines Bundeslandes einfließt. Das zieht uns nach oben. Auf der anderen Seite: Verlaufsstudien zeigen, dass der Anteil der Zuwanderer, die im Berufsleben ankommen, umso höher ist, je länger sie in Deutschland leben. Das ist eine wichtige Erkenntnis, die uns im Hinblick auf den Fachkräftemangel zuversichtlich machen sollte.
Das Gespräch führte Jan-Felix Jasch.