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Christopher Street Day Bremen "Diskriminierung ist für queere Menschen alltäglich"

CSD Bremen: ein Fest der Freude und der politischen Diskussion. Doch wie sicher sind queere Menschen in der Stadt? Ein Gespräch über Diskriminierung und Sicherheit.
23.08.2024, 05:00 Uhr
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Von Karolina Benedyk

Herr Linker, wie bunt ist Bremen?

Christian Linker: Ich glaube, Bremen ist ziemlich bunt. Wir sehen das an den vielen Veranstaltungen und Initiativen. Ein Beispiel: Werder spielt mit Regenbogen-Eckfahnen. Viele queere Menschen zeigen sich offen in der Stadt.

Was bedeutet es, queer zu sein?

Queere Menschen vereint, dass sie sich nicht mit der heteronormativen Welt identifizieren. Weil sie sich aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität anders fühlen. Das führt zu sogenannten Coming-out-Prozessen. Das heißt, man setzt sich mit sich selbst auseinander und mit der Umwelt, der Familie, Freunden, unter Umständen mit dem Arbeitsplatz.

Nachdem rechtsextreme Gruppen und Neonazis zu Gegenveranstaltungen beim CSD im sächsischen Bautzen aufgerufen haben, wappnen sich viele Menschen. Müssen auch Menschen in Bremen Angst haben?

Alle Bilder, die man dort sehen konnte, die machen natürlich Angst. Das ist auch das, was sie erzeugen sollen. Soweit ich informiert bin, gibt es keine rechte Gegendemonstration, die angemeldet ist. In Bremen gingen Gegendemonstrationen in den vergangenen Jahren von evangelikalen Christen aus. Aus der Erfahrung heraus geht von diesen Menschen unmittelbar keine Gewalt aus. Dass das andere zu Gewalt anstacheln kann, ist ein anderes Thema. Aber eine unmittelbare Bedrohung während des CSDs ist im Moment nicht zu erkennen.

Und beim Hin- und Heimweg?

Das sieht schon anders aus. In den letzten Jahren gab es immer mal wieder Situationen, bei denen Menschen auf dem Nachhauseweg Diskriminierung oder Gewalt erlebt haben. Wir raten den Menschen, in Gruppen an- und abzureisen. Und ja, ansonsten muss man leider sagen, dass es für queere Menschen auch jeden Tag möglich ist, unter Umständen bedroht zu werden.

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Es gibt Angriffe auf Transfrauen, es gibt Angriffe auf Menschen, die als queer auftreten. Wie sicher sind queere Menschen in Bremen?

Ich glaube, queere Menschen sind in Bremen genauso sicher und unsicher wie überall anders auch. Diskriminierung ist für queere Menschen alltäglich. Das kann auf der Straße sein, wenn Paare Händchen haltend irgendwo langgehen. Das kann auf dem Arbeitsplatz sein, das kommt auch oft immer noch in Schulen vor. Solange es Menschen gibt, die sich von queeren Menschen bedroht fühlen und Gewalt als legitimes Mittel ansehen, solange werden queere Menschen auch bedroht sein. Doch die Gewalt nimmt zu. Das Bundeskriminalamt veröffentlichte Zahlen, die zeigen, dass Gewalt gegen geschlechtsbezogene Diversität 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 100 Prozent anstieg und gegen sexuelle Orientierung um fast 50 Prozent.

Gleichzeitig erfahren queere Menschen seit den Bildern aus Bautzen deutschlandweit Solidarität. Spüren Sie die auch in Bremen?

Das merken wir auch in Bremen, ja. Ich glaube aber, dass die Solidarität in Bremen ohnehin recht groß ist. Wir haben vor Kurzem eine Kundgebung gemacht, nachdem am Rat-und-Tat-Zentrum rechte Schmierereien waren. Es waren viele erschüttert.

Im Juni 1979 fanden die ersten deutschen CSD statt, unter anderem in Bremen. Was hat sich innerhalb der 45 Jahre verändert?

Bremen war immer relativ weit vorne mit dabei, Veränderungen umzusetzen. Ich denke an Themen wie die eingetragene Lebenspartnerschaft, dann Ehe für alle. Bremen hat sich relativ früh eingesetzt gegen die Diskriminierung von Menschen mit HIV und Aids, die Abschaffung des Paragrafen 175.

Und was würden Sie sagen, muss noch passieren in Bremen?

Nicht alle Gesetze können in Bremen gemacht werden. Wir hoffen, dass im Bund endlich eine Änderung des Abstammungsgesetzes kommt und lesbische Paare nicht weiter diskriminiert werden. Aber bei der Stiefkindadoption ist das niedersächsische Umland viel weiter. Die sind deutlich schneller in dem Adoptionsverfahren.

Haben Sie noch weitere Forderungen?

Grundsätzlich ist es so, dass wir in Bremen natürlich hoffen, dass weiterhin queere Beratungen erhalten bleiben, trotz schwieriger Haushaltslagen. Auch der Bereich Aufklärung in Schulen ist unglaublich wichtig, weil wir auch gewaltvolle Übergriffe von jungen Menschen in Schulen erlebt haben. Gleichzeitig will die FDP das Gendern für Behörden und Schulen verbieten. Das ist in unseren Augen der falsche Weg.

Mit dem CSD verbindet man bunte Kostüme, laute Musik und viel Tanz. Inwiefern ist es auch eine politische Veranstaltung?

Wenn man sich die Ursprünge anguckt, die Polizeiunterdrückung in San Francisco und die Menschen, die sich angefangen haben zu wehren – daraus ist eine weltweite Bewegung geworden. Und Sie werden bei den Redebeiträgen bei diesem CSD sehen, dass das eine politische Demonstration ist. Nichtsdestotrotz ist es auch ein Empowerment für viele grade junge, queere Menschen, die das vielleicht zum ersten Mal erleben, eine Gesellschaft hinter sich zu haben und sich einen Tag lang frei in der Öffentlichkeit bewegen zu können, ihre Liebe zu zeigen. Und das darf dann auch ein großes Fest der Freude sein. Ich finde, das passt beides gut zusammen.

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Zur Person

Christian Linker (45),

ist Geschäftsführer des Rat-und-Tat-Zentrums in Bremen. Das Zentrum berät queere Menschen und organisiert gemeinsame Aktivitäten.

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