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Pride Month in Bremen Mehr junge Menschen leben offen queer

Paul-Nikos Günther und Kyan Mitwollen leben offen queer - so wie immer mehr junge Menschen in der Stadt. Die beiden jungen Erwachsenen erzählen, wie sie mit Anfeindungen im Alltag umgehen.
21.06.2023, 05:00 Uhr
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Mehr junge Menschen leben offen queer
Von Sara Sundermann

Der Juni gilt auch als Pride Month, als ein Monat, der für mehr Sichtbarkeit und Gleichberechtigung für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Inter- und Transpersonen sorgen soll. Paul-Nikos Günther und Kyan Mitwollen leben in Bremen und sehen sich als queer. Beide identifizieren sich nicht mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugeschrieben wurde. Beide wurden zuerst als Junge eingeordnet. Heute sehen sie sich weder als Mann noch als Frau. Und tragen das auch über ihr Styling und ihre Kleidung ein Stück weit nach außen.

"Es müssen Gesichter von queeren Menschen in der Öffentlichkeit sichtbar sein, sonst bleibt es immer ein Tabu-Thema", sagt Kyan Mitwollen. "Ich oute mich nicht explizit, aber ich mache immer die Erfahrung, dass man mir mein Queer-Sein ansieht", sagt Paul-Nikos Günther.

Kyan Mitwollen ist 22, studiert Gender Studies und Pädagogik an der Uni Oldenburg, jobbt in einer Bar im Bremer Viertel und leitet eine queere Jugendgruppe im Rat- und Tat-Zentrum. Paul-Nikos Günther ist 19 Jahre alt, geht in die 12. Jahrgangsstufe einer Huchtinger Oberschule und engagiert sich dort in führender Position in der Schülervertretung.

Kyan Mitwollen bezeichnet sich selbst als studierende Person oder "Studi", Paul-Nikos Günther spricht von sich zum Beispiel als "Schulsprecher*in" – und betont: "Ich finde es sprachlich alles unfassbar anstrengend und nervig. Ich wünschte mir, Sprache wäre einfach geschlechtsneutral, ich mag es nicht, dass andere Leute sich so einen Kopf darüber machen müssen."

So wie Paul-Nikos Günther und Kyan Mitwollen zeigen sich offenbar zunehmend insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene in Bremen offen als queer und lassen sich nicht in das etablierte Schubladensystem stecken, das nur Frauen und Männer als Kategorien vorsieht. "Die queere Szene in Bremen ist jünger geworden", sagt Christian Linker vom Bremer Rat- und Tat-Zentrum. "Und mehr Transpersonen trauen sich, sich zu outen."

Gerade unter den Jüngeren seien viele offener für einen Alltag jenseits traditioneller Geschlechtsidentitäten, sagt auch Maike-Sophie Mittelstädt vom queerpolitischen Beirat in Bremen, die zudem im Vorstand des Vereins Transrecht ist. "Kinder und Jugendliche sind da oft sehr viel progressiver – die Probleme damit haben oft eher die Erwachsenen", sagt sie.

Doch wann merken Kinder und Jugendliche, dass die Schubladen für sie nicht passen? "Ich habe mit zwölf Jahren gemerkt, dass ich einen Crush auf einen Charakter in einer Serie hatte – ich fand die Person sehr anziehend, aber es war keine Frau, sondern ein Mann", erzählt Kyan Mitwollen. "Ich habe mich dann erst als schwul und später als queer geoutet."

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"Mir war immer klar, dass ich kein Junge bin", sagt Paul-Nikos Günther. "Mit sieben Jahren wurde ich gefragt, ob ich ein Mädchen sein will – und für mich war klar: Um Himmels willen, auf keinen Fall bin ich ein Mädchen, also muss ich ein Junge sein. Ich wusste, dass ich kein Junge bin, aber es gab eben nur diese zwei Optionen."

Damals sei das aber auch noch nicht so relevant gewesen: "Primär war ich zum Glück erst mal Kind." Erst später wurde das Thema wichtiger: "Das prägende Erlebnis war, als ich mit elf Jahren in einem Youtube-Video eine nicht-binäre Person gesehen habe – da habe ich gedacht: Das ist es!", sagt Paul-Nikos Günther. Trotzdem blieben viele Ungewissheiten: "Ich hatte noch jahrelang Zweifel, ob ich mir das nur einrede."

Dass sich mehr junge Leute outen, heißt keineswegs, dass die Diskriminierung verschwindet. Das stellt Paul-Nikos Günther klar: "An meiner Schule erlebe ich täglich Anfeindungen, oft mehrmals täglich – es ist lange her, dass ich einen Tag ohne Anfeindungen hatte." Die Beleidigungen kämen ausschließlich von jungen Männern: "Vorletzte Woche sind an meiner Schule drei Typen zu mir gekommen, haben mich Schwuchtel genannt und mir vor die Füße gespuckt", sagt Paul-Nikos Günther. "Meine bloße Existenz sorgt für Aggressionen, und an meiner Schule gibt es kein Konzept dagegen." Auch Kyan Mitwollen erzählt von diskriminierenden Sprüchen im Alltag: "Ich kontere die oft mit einem Gegenspruch."

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Ein Gegengewicht zu Anfeindungen sind für die beiden jungen Erwachsenen auch die Gruppen, in denen sie sich politisch oder kreativ engagieren und respektiert fühlen. Kyan Mitwollen ist aktiv im Kulturkollektiv Straßentauben und im Verein Queeraspora. Und Paul-Nikos Günther hat zusammen mit anderen jungen Kulturschaffenden eine Ausstellung in der Kunsthalle kuratiert und engagiert sich in der grünen Jugend. Das seien "Safe Spaces", wie Paul-Nikos Günther formuliert. Oder "Wohlfühl-Bubbles", wie Kyan Mitwollen sagt. "Ich will gar keine Aufmerksamkeit für meine Geschlechtsidentität, für mich ist es immer eine positive Erfahrung, wenn ich merke, dass Leute mich respektieren und schätzen für meine Fähigkeiten, die ich unabhängig davon habe", sagt Paul-Nikos Günther.

Beim Umgang mit Homophobie und Transfeindlichkeit gebe es in Bremen noch viel Luft nach oben, darin sind sich die beiden jungen Erwachsenen einig. Vor allem brauche es mehr Geld für Bildungsprojekte zum Thema und noch viel zu tun an den Schulen.

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