Ärztin Elke Müller hat es selbst erlebt: zwei Patienten mit schwerem Corona-Verlauf, drei Monate nach ihrer zweiten Impfung. Einen Impfdurchbruch musste sie bei weiteren fünf Patienten diagnostizieren, teils nach vier, teils nach fünf Monaten. „Die waren auch positiv und sind erkrankt, aber nicht so schwer“, sagt die Fachärztin für Innere Medizin. Deshalb bekommen Patienten bei ihr ihre Auffrischungsimpfung bereits nach fünf Monaten. Eine Frist von sechs Monaten empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko), das Land Bremen orientiert sich daran.
Mit ihrer Ansicht steht Elke Müller nicht allein da. „Impfstoffe verlieren nach vier Monaten schon einen Großteil des Schutzes“, sagte der designierte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Sonntag in der Talkshow „Anne Will“. Sein Plädoyer für zügige Booster-Impfungen teilt Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer. Bei ausreichend vorhandenem Impfstoff „spräche nichts gegen eine Verkürzung der Frist von sechs auf fünf Monate“, so Reinhardt gegenüber der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Einzelne Bundesländer wie Bayern, Thüringen und Berlin haben die Frist bereits verkürzt.
Bremen orientiert sich bei Booster-Impfung an der Stiko
Das Land Bremen stellt das nicht in Aussicht. „Eine frühere Impfung als nach sechs Monaten können wir nicht garantieren“, sagt Lukas Fuhrmann, Sprecher des Gesundheitsressorts. Zuerst sollen diejenigen immunisiert werden, deren zweite Impfung länger zurückliegt. Daneben habe man die über 70-Jährigen im Blick. „Das heißt, dass wir den Fokus auf jene legen, deren zweite Impfung sechs Monate zurückliegt und die bereits älter sind.“ Dabei stützt sich die Gesundheitsbehörde auf die aktuelle Stiko-Empfehlung, nach der frühestens nach fünf Monaten und nur bei ausreichenden Kapazitäten früher geimpft werden soll.
Mit dieser Vorgabe sieht sich Elke Müller im Einklang. Auch in ihrer Praxis werden Senioren oder kranke Menschen bevorzugt. Allerdings weise sie niemanden ab, der diese Kriterien nicht erfüllt. „Wenn jemand es möchte und keine schwere Erkrankung hat, wird er nach fünf Monaten genauso geimpft“, sagt sie. Denn: „Die Abwehrkraft gegen das Virus sinkt auch schon nach fünf Monaten.“ Allerdings geht das nur, wenn genug Impfstoff vorhanden ist.
„Wir haben derzeit nicht den Luxus, dass wir früher als nach sechs Monaten die dritte Impfung geben können, weil wir nicht genug Impfstoff haben", stellt Bernhard Rochell fest, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung in Bremen. „Wenn unendlich viel Impfstoff da wäre, gäben die Angaben der Stiko durchaus her, auch schon nach vier Monaten zu boostern oder bei älteren Menschen auch früher“, so Rochell. Das Problem sei derzeit die Kontingentierung von Impfstoff. „Wir bekommen weniger geliefert, als wir bestellen.“ Viele Ärzte müssten deshalb bereits vereinbarte Termine für Drittimpfungen absagen und verschieben. Gesunde doppelt Geimpfte, die nicht zu einer Risikogruppe gehören, ruft Rochell zur Geduld auf. Auch für diejenigen, die erst nach sechs Monaten die dritte Impfung bekämen, gebe es keinen Grund zur Angst, wenn sie sich vorsichtig verhielten. Insbesondere sollten sie längere ungeschützte Treffen in Innenräumen vermeiden.
„Es ist immer eine ärztliche Entscheidung, ob und wann jemand eine Impfung bekommt, auch in den mehr als 170 staatlichen Impfstellen in Niedersachsen“, betont Oliver Grimm, Sprecher des niedersächsischen Gesundheitsministeriums. „Ärzte sind nicht weisungsgebunden.“ Klar sei, dass es sinnvoller sei, zunächst die priorisierten Gruppen zu boostern. Die Chance, als nicht priorisierte Person in Niedersachsen schon nach vier Monaten eine dritte Impfung zu bekommen, sei in der Praxis gering.
Bei ihrem Vorgehen beruft sich Elke Müller auf Äußerungen des geschäftsführenden Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU), der sich dafür ausgesprochen hatte, die Sechs-Monats-Frist flexibel zu handhaben. Kategorisch ausschließen will die Gesundheitsbehörde frühere Impfungen nicht. Ressortsprecher Fuhrmann verweist aber auf die Verlautbarungen seiner Behörde. „Sollten Termine deutlich früher als sechs Monate vereinbart werden, trotz Hinweis, dass die Impfung erst nach sechs Monaten stattfinden soll, kann es im Einzelfall dazu kommen, dass der Termin nicht wahrgenommen werden kann.“ Solche Situationen wolle man unbedingt vermeiden.
Mit einer Sonderschicht – dem Adventsimpfen am Sonnabend – haben Elke Müller und ihr Team am Sonnabend vorgelegt. Knapp 500 Menschen wurden ohne Pause im Laufe von 13 Stunden geimpft. Am 17. Dezember wollen Elke Müller und ihr Team die Aktion in einem etwas kleineren Rahmen wiederholen. „Das ist unser Weihnachtsgeschenk an die Menschen“, sagt die Medizinerin.