Es ist bezeichnend für den Zeitgeist, dass das eigentlich doch positiv besetzte Wort Freiheit unter Verdacht geraten ist. Die „Floskelwolke“, ein Internet-Projekt zweier Journalisten, kürte es kürzlich zur „Floskel des Jahres“, was immerhin der Tagesschau eine Meldung wert war. Natürlich beeilten sich die Preisverleiher, zu versichern, dass sie lediglich die Übersetzung von Freiheit mit Egoismus kritisierten. Doch das ist ein schwaches Argument, denn letztlich lässt sich nahezu mit jedem Wort Schindluder treiben.
Dass ein Jahr zuvor mit dem Begriff Eigenverantwortung ein anderer Eckpfeiler unseres Gesellschaftsmodells den Negativpreis bekam, passt ins Bild. Hier wird ganz offensichtlich daran gearbeitet, gewisse Worte umzudeuten. Was noch vor einigen Jahren oder Jahrzehnten als Tugend galt, wird mittlerweile auf seine negative Lesart reduziert. Leistungsbereitschaft? Nur eine Umschreibung für einen brutalen Kapitalismus, der die Schwachen aussortiert. Fleiß? Klingt nach vorgestern. Wohlstand? Bedroht Klima und Umwelt. Wer heute nicht als rückwärtsgewandt gelten will, muss mindestens Diversität, Gendergerechtigkeit und interkulturelle Kompetenz in seinen aktiven Sprachschatz einbauen. Alles noble Ziele, gewiss, nur führt die einseitige Fokussierung darauf in die falsche Richtung.
Wandel der Bedeutung
Dieser vorangetriebene Wandel der Begriffsbedeutungen und damit auch der Werte spiegelt sich in den aktuellen Debatten und der Politik selbst wider. Dass das Modell Deutschland mit seinem üppig ausgebauten Sozialstaat auf Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit beruht, die immer wieder hart erarbeitet werden müssen, wird in den diskursprägenden Kreisen kaum noch erwähnt. Es geht mittlerweile selten darum, wie der Wohlstand geschaffen wird, dafür umso häufiger um die angeblich gerechte Verteilung des Geldes. Der Eindruck drängt sich auf: Deutschland möchte zum weltweiten Marktführer des guten Willens werden – und verliert dabei die Realitäten aus dem Blick. Gut gemeint ist halt häufig das Gegenteil von gut gemacht.
Jüngstes Beispiel ist die Einführung des Bürgergeldes zu Beginn dieses Jahres. Mit der inflationär gebrauchten Floskel Respekt drückte die SPD ein Herzensanliegen durch, mit dem sie ihr Hartz-IV-Trauma überwinden will und das im Kern darauf hinausläuft, Langzeitarbeitslosen das Leben etwas angenehmer zu gestalten. Nun wäre es grundfalsch, allen Arbeitslosengeld-II-Empfängern zu unterstellen, es sich mit der Transferleistung gemütlich einzurichten. Doch genauso falsch ist es, anzunehmen, dass alle händeringend einen Job suchten. Wenn bei rund 2,5 Millionen Arbeitslosen knapp 800.000 Stellen nicht besetzt werden können, läuft etwas schief. Handwerks- und Gastronomiebetriebe suchen verzweifelt Personal und werden nicht fündig. Dabei geht es keineswegs nur um hoch qualifizierte Fachleute, auch für einfache Tätigkeiten findet sich oft niemand.
Damit an dieser Stelle gar nicht erst die leidige Faulenzer-Debatte anfängt: Vielleicht sollte man weniger wertend diskutieren als vielmehr entlang nüchterner Interessenslagen. Wer beispielsweise die Wahl hat, einen körperlich anstrengenden und schlecht bezahlten Job anzunehmen oder lieber zu Hause zu bleiben, entscheidet sich vielleicht eher für Letzteres, wenn die tägliche Plackerei am Monatsende unterm Strich gerade mal 100 Euro mehr einbringt. Diese Einschätzung entspringt keinem negativen Menschenbild, wie oft behauptet wird, sondern eher einem realistischen. Den Betroffenen muss man da keinen Vorwurf machen, vielmehr der Politik, die falsche Anreize setzt.
Das lässt sich auch auf die Migrationspolitik übertragen. Es gibt auf der Welt sehr viele Menschen, denen das Leben nicht viel mehr als Armut und Mühsal verspricht. Dass sie sich in Deutschland eine bessere Zukunft erhoffen, ist verständlich. Doch ein schlechtes Leben – auch das ist nicht zynisch, sondern steht so im Grundgesetz – ist kein Asylgrund. Von der Vorgabe jedoch, dass nur bleiben darf, wer politisch verfolgt wird oder vor einem Krieg flieht, ist die Realität meilenweit entfernt: Mehrere Hunderttausend Menschen, die eigentlich ausreisepflichtig sind, leben in Deutschland.
Die Ampelregierung hat nun die Weichen dafür gestellt, dass der Verfassungsgrundsatz weiter aufgeweicht wird. Wer es irgendwie nach Deutschland schafft, darf fast immer bleiben – diese seit Langem gängige Praxis wird zunehmend in Gesetzesform gegossen. Das sendet natürlich Signale in die Welt. Nicht umsonst belegt die Bundesrepublik einen Spitzenplatz beim Zuzug von Migranten. Die weitaus meisten von jenen, die Europa erreichen, wollen nach Deutschland. Das ist nachvollziehbar: Die soziale Absicherung ist großzügig, die Gefahr, wegen nicht vorhandener Asylgründe wieder zurückgeschickt zu werden, gering. Für gut ausgebildete Fachkräfte, die dringend gebraucht werden, ist das Land dagegen im Vergleich zu anderen Einwanderungsländern eher unattraktiv.
Dass der Zuzug Hunderttausender Menschen mit oft ganz anderen Wertevorstellungen Probleme mit sich bringt, wird politisch korrekt gerne ausgeblendet. Jede Diskussion darüber wird schnell mit dem Rassismusvorwurf abgewürgt, zuletzt wieder zu besichtigen bei der Debatte über die Silvester-Ausschreitungen. Dabei liegt es auf der Hand, dass – um nur ein Beispiel zu nennen – Integration und gute Schulbildung eine kaum zu bewältigende Herausforderung darstellen, wenn in westdeutschen Großstädten mehr als die Hälfte der Kinder einen Migrationshintergrund hat und viele von ihnen zu Hause kein Deutsch sprechen.
Debatten werden erstickt
Das Bild eines Landes, das aus den edelsten Motiven das Falsche tut, zeigt sich auch bei der Energie- und Klimapolitik. Der weltweit einmalige Ausstieg sowohl aus der Kohle als auch aus der Atomenergie war schon sehr ambitioniert. Doch selbst der Umstand, dass das als Brückentechnologie eingeplante Gas aus Russland nicht mehr fließt, sorgt für kein Umdenken. Während im Ausland neue Atomkraftwerke gebaut werden, schaltet Deutschland seine sicheren Meiler ab. Über ein paar Monate Laufzeitverlängerung für drei Kernkraftwerke geht es nicht hinaus. Dass dafür mehr Strom aus der klimaschädlichen Kohleverbrennung erzeugt wird, was sogar die Aktivisten-Ikone Greta Thunberg kritisiert, ist egal. Die Anti-AKW-Ideologie siegt selbst über klimapolitische Vernunft.
Jede aufkommende Debatte wird mit dem Mantra erstickt, dass nun einfach die alternativen Energien stärker ausgebaut werden müssten. Natürlich, das ist richtig und dringend notwendig und wurde, auch das gehört zur Wahrheit, leider viel zu lange verschleppt. Doch wer auch nur ansatzweise zusammenrechnet, wie viel Leistung die erneuerbaren Energien derzeit abwerfen und welche enormen Strommengen künftig gebraucht werden, kommt schnell zu dem Ergebnis, dass wir noch lange Zeit allein mit Sonne, Wind, Wasserkraft und Biomasse nicht auskommen werden.
Am Ende wird es wahrscheinlich wieder auf eine Bigotterie hinauslaufen, die leider sehr typisch ist: Da der hierzulande erzeugte Strom nicht ausreicht, importieren wir Atomstrom aus Frankreich und Kohlestrom aus Polen. Genauso wie wir kein Problem mit Frackinggas aus den USA haben, während dieses Verfahren bei uns tabu ist.
Gesinnungsethik vor Verantwortungsethik, die moralisch tadellose Haltung ist wichtiger als das tatsächliche Ergebnis – nach diesem Prinzip läuft es leider viel zu häufig. Genau deshalb wird Deutschland, das ansonsten immer internationale Zusammenarbeit propagiert, im Ausland zuweilen mit einer Mischung aus Unverständnis und Skepsis betrachtet. Das Land, so ist zumindest der Eindruck seit geraumer Zeit, fährt in die falsche Richtung – allerdings gendergerecht und diskriminierungssensibel.