In den Bremer Stadtteilen finden sich immer mehr Nachbarschaften zusammen, die mit gemeinschaftlicher Nutzung von Erdwärme einen Beitrag zur Energiewende leisten wollen. Am Hulsberg, im Buntentor, im Viertel, in Schwachhausen – überall schießen solche Initiativen aus dem Boden. Sie folgen einem Impuls, den der Verein "Erdwärme dich" in die Stadtgesellschaft ausgesendet hat. Initiator Philipp Metz strebt ein Pilotprojekt in der Humboldtstraße an. Dort soll die klimaschonende häusliche Wärmeversorgung in Nahwärmenetzen auf der Basis von Geothermie erstmals in Bremen praktisch umgesetzt werden.
Bis vor wenigen Tagen waren Metz' Vorstellungen nicht mehr als eine gute Idee. Jetzt hat er auch schriftlich, dass ein solches Netz in der Humboldtstraße technisch und wirtschaftlich machbar ist. Die gutachterliche Expertise stammt von Thomas Giel. Der Professor für technisches Gebäudemanagement an der Hochschule Mainz hat in seiner Machbarkeitsstudie ein Szenario entworfen, das von 50 angeschlossenen Immobilien entlang der etwa 900 Meter langen Straße ausgeht. Das System würde aus 63 Sonden bestehen, die bis zu 300 Meter tief ins Erdreich hinabreichen und über ein Ringleitungssystem miteinander verbunden sind. In den einzelnen Häusern gäbe es dann Wärmepumpen, die bei Bedarf die Energie aus dem vorgelagerten Netz ziehen. Technisch und genehmigungsrechtlich sei das Versorgungskonzept "als realisierbar einzustufen", ist Giel überzeugt. Das System wäre in der warmen Jahreszeit sogar in der Lage, durch umgekehrten Wärmetausch sommerliche Hitze aus den Häusern ins Erdreich abzuleiten.
Der Mainzer Experte hat das Modell auch kaufmännisch durchgerechnet. Berücksichtigt wurden dabei unter anderem Kapitalaufwand und laufende Kosten wie Stromverbrauch, Wartung und Instandsetzung, zudem eine staatliche Förderung, wie sie derzeit aus Bundesmitteln zu bekommen ist. Unterm Strich entstünden jährliche Kosten von gut 58.000 Euro. Teilt man diesen Betrag auf 50 Haushalte auf, dann fahren die Teilnehmer günstiger als mit konventionellen Heizungen und verbessern zugleich ihre CO2-Bilanz drastisch.
Bezahlt und in Auftrag gegeben hat die Studie der Bremer Energiekonsens, eine Klimaschutzagentur, die von der Umweltbehörde finanziert wird. Entsprechend positiv sieht Senatorin Maike Schaefer (Grüne) die Sache. Es handele sich um einen "Erfolg versprechenden Weg, von Gas-, Öl- oder gar Kohleheizungen wegzukommen", sagte Schaefer dem WESER-KURIER. Ein Pilotprojekt in der Humboldtstraße könne sie sich deshalb "sehr gut vorstellen". Im Vorfeld müssten allerdings rechtliche Sachverhalte sauber abgearbeitet werden.
Das betrifft vor allem die Nutzung öffentlichen Grund und Bodens. Denn die Art der Bebauung in der Humboldtstraße lässt es gar nicht zu, dass die Bohrungen auf den Grundstücken stattfinden. Sonden und Ringleitungen müssten im Bereich der Bürgersteige ins Erdreich eingebracht werden. Und das wirft unter anderem haftungsrechtliche Fragen auf, denn dort ist ja auch andere Versorgungsinfrastruktur vorhanden, die nicht beschädigt werden darf. Erforderlich wäre also vor allem eine Rechtsperson, die die gebündelten Interessen der Privatleute gegenüber der Stadt vertritt.
Daran wird bereits gearbeitet. Noch in diesem Frühjahr soll eine Genossenschaft ins Leben gerufen werden. Diese Institution würde Betreiberin des Nahwärmenetzes Humboldtstraße. Unter diesem Dach könnten sich aber auch weitere Projekte in anderen Bremer Quartieren versammeln, zum Beispiel eine Gruppe von Interessenten aus der Franziusstraße in Schwachhausen. Wilhelm Friedmann hat dort den Impuls von "Erdwärme dich" aufgegriffen. "Wenn man nicht selbst bereit ist, etwas für den Klimaschutz zu tun, kann man auch nicht auf die Regierenden schimpfen", sagt Friedmann. Er verschickte einen Rundbrief an die Nachbarn und stieß auf große Resonanz. Vielen in der Straße geht es offenbar wie Friedmann: "Man hat eine in die Jahre gekommene Heizung und muss sich überlegen, was danach kommt." Ein geothermie-gestütztes Nahwärmenetz zum Beispiel. Von rund 40 Hauseigentümern hat jedenfalls mehr als die Hälfte Interesse bekundet.
Ähnlich sieht es am Körnerwall im Viertel aus. Dort hat sich Werner Westphal um Mitstreiter bemüht – ebenfalls mit Erfolg. In der u-förmigen, vom Sielwall abgehenden Wohnstraße gäbe es sogar die Möglichkeit, die mittig gelegene Grünfläche als Terrain für die Erdsonden zu nutzen. 14 Eigentümer zeigen sich interessiert, um weitere aus rückwärtig angrenzenden Straßen wird noch geworben. "Zusammen könnten wir die notwendige Größe für ein Cluster erreichen, in dem sich das Ganze lohnt", sagt Westphal. Erdwärme-Aktivist Philipp Metz freut sich über das, was er da stadtweit losgetreten hat. Er hofft auf rasche Fortschritte beim Aufbau der organisatorischen Strukturen und der notwendigen Gespräche mit der Stadt, damit sich der Klimaschutz nicht in guten Absichten erschöpft. Bremen brauche bald ein Pilotprojekt, sagt Metz. "Wir müssen uns an einer Stelle beweisen."