Herr Huebener, Sie haben zu Hürden für den Kita-Besuch geforscht und sprechen an diesem Donnerstag beim Bremer Kita-Gipfel. Gehen eigentlich Kinder aus allen Schichten und unabhängig von der Herkunft ihrer Eltern gleichermaßen in die Kita?
Mathias Huebener: Wir haben in den vergangenen zehn Jahren einen großen Ausbau der Betreuungskapazitäten gesehen, begleitet durch die Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Kitaplatz ab dem ersten Geburtstag im Jahr 2013. Dadurch gehen jetzt mehr Kinder aus allen Gesellschaftsgruppen in die Kita. Aber dennoch sieht man nach wie vor deutliche Unterschiede. Kinder von gut gebildeten Eltern mit höherem Einkommen und ohne Migrationshintergrund gehen häufiger schon früh in die Kita. Kinder, deren Eltern einen niedrigeren Bildungsabschluss haben, gehen seltener vor ihrem dritten Geburtstag in die Kita. Dasselbe gilt für Kinder aus armutsgefährdeten Familien und aus Familien mit Migrationshintergrund.
Wollen die Eltern in diesen Familien nicht, dass ihre Kinder früh in die Kita gehen?
Durch einen geringeren Wunsch nach Betreuung lassen sich die Unterschiede nur zum Teil erklären, aber keineswegs in Gänze. Wenn wir zum Beispiel auf Familien schauen, in denen kein Deutsch gesprochen wird, sehen wir beim Betreuungswunsch überhaupt keinen Unterschied zu anderen Familien. Teilweise sind die Betreuungswünsche bei diesen Eltern sogar noch etwas höher. Aber wenn es dann darum geht, ob die Kinder später auch in die Kita gehen, zeigen sich drastische Unterschiede. Die privilegierteren Familien sind erfolgreicher dabei, ihren Wunsch nach einem Betreuungsplatz umzusetzen.

Familien- und Bildungsökonom Mathias Huebener vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung hat viel zu Hürden für den Kita-Besuch geforscht.
Wie äußern sich diese Unterschiede konkret?
Man kann sagen, dass insgesamt jede zweite Familie mit einem Kind unter drei den Wunsch nach einem Betreuungsplatz hat. Aber von den Familien ohne Deutschkenntnisse, die einen Platz wollen, bekommt nur die Hälfte tatsächlich einen Platz. In der Gruppe der deutschsprachigen Familien bekommen vier von fünf Kindern, deren Eltern eine Betreuung wollen, auch einen Platz. Das sind eklatante Unterschiede. Vor allem, wenn man davon ausgeht, dass der geäußerte Wunsch nach Betreuung der gleiche ist. Wir reden hier vor allem über den Krippenbereich. Bei den Über-Dreijährigen nehmen die Unterschiede ab, und mehr Kinder aus allen Gesellschaftsgruppen gehen in die Kita.
Woran liegt das, dass die Unterschiede bei den Kleineren am stärksten sind?
Die Plätze für die Unter-Dreijährigen sind noch am stärksten rationiert, weil es hier vergleichsweise wenig Plätze gibt. Krippenplätze wurden zwar auch ausgebaut, aber das Angebot ist deutlich kleiner als gebraucht. Für die Über-Dreijährigen gibt es bundesweit kleinere Lücken. Wir müssen uns aber gerade über den frühkindlichen Bereich große Gedanken machen, weil das natürlich die Zeit ist, in der Sprachkenntnisse angelegt werden. Das Tragische ist, dass die Kinder am seltensten in die Kita gehen, die von einer guten Betreuung am meisten profitieren könnten.
Weshalb gehen diese Kinder selten in eine Krippe?
Eine wichtige Zugangshürde sehen wir in dem Prozess, wie man zu einem Kitaplatz kommt. Für die Bewerbung gibt es keine einheitlichen Standards, das variiert je nach Kommune und Träger. Die Bewerbungsverfahren für einen Kitaplatz sind oft extrem aufwendig. Gleichzeitig gibt es in vielen Familien große Informationsdefizite. Wir wissen, dass Familien mit Migrationshintergrund oft viel weniger darüber wissen, wie man an einen Kitaplatz kommt und dass eine einzige Bewerbung vermutlich nicht ausreicht, um erfolgreich zu sein. Hinzu kommen oft Sprachbarrieren. Erforderlich sind viel systematischere Informationen über die Kita-Platzvergabe, eine Handreichung für Eltern.
Müssen Eltern also einfach nur besser informiert werden?
Informieren ist nur ein Aspekt. Neuere Studien zeigen, dass es auch Hinweise auf Diskriminierung bei der Platz-Vergabe seitens der Kitas gibt. Kinder mit Migrationshintergrund bekommen offenbar seltener einen Platz. Wenn Kitas mitbestimmen können, wie sich ihre Gruppen zusammensetzen, werden sie zum Beispiel auf ein ausgewogenes Verhältnis von Mädchen und Jungen achten. Aber Kitas wissen auch, dass das Eltern-Engagement in bestimmten Gesellschaftsgruppen stärker ausgeprägt ist und dass engagierte Eltern die Elternarbeit vereinfachen. In der Praxis ist schwer überprüfbar, ob wirklich die Kriterien für die Platz-Vergabe angewandt werden. Wenn die Nachfrage so groß ist, und es eine Flut von Anmeldewünschen gibt, ist es schwer, Gerechtigkeit herzustellen. Dann dominieren manche Anfragen.
Das Gespräch führte Sara Sundermann.