Der Hamburger Flughafen ist bereits zu sehen. Der Himmel ist weitestgehend klar, lediglich ein paar kleinere Wölkchen schieben sich ins Sichtfeld. Im Cockpit des A 320 ist das Dröhnen der Turbinen zu hören. Auf den Pilotensesseln sitzen die Schüler, einer von ihnen ist der 13-jährige Qinuo Wu. "Wir fliegen genau auf das Funkfeuer zu", erklärt Pilot Marcel Eilert. "Dann geht es ein Stück geradeaus, nach etwa einer Minute fliegen wir eine Linkskurve und beginnen dann mit dem Endanflug auf die Piste 23."
Die Schüler sind "Flight Kids". Regelmäßig sitzen sie im Flugsimulator im Terminal 1 des Bremer Flughafens. Sie sind Teilnehmer der "Flight Kids Academy" des Bremer Unternehmens flugsimulator.com. Das Programm richtet sich an Schülerinnen und Schüler im Alter von zwölf bis 15 Jahren.
Original-Cockpit aus einem A 320
Das Besondere an dem Cockpit: "Es ist ein Original und stammt aus einem A 320, der von Pilotinnen und Piloten der Air France geflogen wurde", sagt Marcel Eilert. Nach 22 Jahren wurde der Flieger mit der Seriennummer MSN 337 außer Dienst gestellt und das 850 Kilogramm schwere Cockpit vom restlichen Flugzeugkörper abgetrennt. Seit fast fünf Jahren steht es für die "Flight Kids" bereit.
Die Schüler gehören zur Klasse "Wing 06" mit insgesamt acht Teilnehmern, seit Programmstart ist es die sechste aufeinanderfolgende "Flight Kids"-Klasse in Bremen. Weitere Standorte sind mittlerweile auch Hamburg und Berlin. Die Academy läuft über drei Jahre, zweimal im Monat, samstags und sonntags, findet der Unterricht statt. Wing 06 ist im November 2022 gestartet.

Lufthansa-Flugschüler Kyle Miller (r.) erklärt, wie der Sichtflug funktioniert.
Die Fluglehrer kommen aus der Praxis, sind etwa Piloten im aktiven Dienst. So wie Marcel Eilert, der bei der spanischen Fluggesellschaft Vueling unter anderem A-320-Passagiermaschinen steuert. "Es macht wahnsinnigen Spaß, jungen Menschen die Faszination des Fliegens und alles, was dazu gehört, näherzubringen", sagt er. Von den Piloten lernen die "Flight Kids", wie ein Flugzeug gesteuert wird, sie planen gemeinsam Flüge, funken und erkunden die Instrumente des Fliegers. Sie berechnen Flugrouten unter Berücksichtigung der Wetterlage, trainieren Zwischenfälle wie einen Triebwerksausfall.
Anregung für die spätere Berufswahl
"Ich bin total begeistert von der Fliegerei", sagt der 13-jährige Qinuo Wu. Auf den Unterricht und die Trainingsflüge im A-320-Cockpit, die in der Regel um 9.30 Uhr an den entsprechenden Wochenendtagen beginnen, freue er sich immer. "Ich möchte alles über Flugzeuge erfahren, wie sie funktionieren, wie die Technik aussieht." Der 13-Jährige ist Schüler am Gymnasium Horn, später könne er sich gut vorstellen, in der Luftfahrtbranche zu arbeiten. "Das ist faszinierend, und das Fliegen im Simulator macht wahnsinnig Spaß. Irgendwie hat man schon das Gefühl, dass man eine Maschine steuert."
Mit dieser Flug- und Technikbegeisterung passt der 13-Jährige perfekt ins Profil von "Flight Kids"-Gründer Walter Drasl. Die Akademie solle zum einen Spaß machen und den Jugendlichen nahebringen, wie sie gelernte Inhalte generell in die Praxis umsetzen – sowie im besten Falle auch Anregung für eine spätere Berufswahl in der Luftfahrtbranche sein, erklärt flugsimulator.com-Sprecher Søren Brand.
Der vierstündige Unterricht besteht aus Theorie und Praxis. An diesem Sonntag steht Lektion 24 an: "Es geht um Orientierung und Positionsbestimmung", erklärt Marcel Eilert. "Und zwar auch unabhängig von GPS. Man braucht immer eine Möglichkeit, autark navigieren zu können, falls etwa einmal das Satellitensystem ausfallen sollte. Es geht um Funkfeuer." UKW-Drehfunkfeuer (VOR) am Boden senden laut dem Piloten umlaufende Funksignale aus, die von Flugzeugen empfangen werden. So wisse der Pilot, in welcher Position er sich befinde.
Kraftstoff wird berechnet
Während Marcel Eilert mit den beiden Schülern Navigation und Positionsbestimmung per Funkfeuer im Simulator üben, widmet sich Kylie Miller mit den übrigen Teilnehmern der Theorie. Später wird getauscht. Wie Marcel Eilert hat er sich freiwillig und aus Begeisterung als Lehrer für die "Flight Kids" gemeldet. Kyle Miller absolviert eine Pilotenausbildung bei der Lufthansa. "Wir schauen uns auf speziellen Karten wichtige Wegmarken für einen Sichtflug an", erklärt er.
Für die dreijährige Akademie gibt es einen Lehrplan: Mit dem Fach Physik, in dem es um Auftrieb und Aerodynamik ebenso geht wie um technische Systeme, Berechnungen von Entfernungen und Kraftstoffverbrauch oder die Entwicklung von Elektro-Flugzeugen. Weitere Fächer sind Mathematik, Politik und Wirtschaft, wobei es etwa um Fluglärm und die CO2-Bilanz geht. Auch Geschichte, Chemie, Deutsch, Englisch, Biologie und Psychologie greifen Aspekte der Luftfahrt auf.
Derzeit laufen jeweils drei Klassen in Bremen und Berlin, zwei in Hamburg. "In Bremen haben bislang 24 Flight Kids ihr Curriculum beendet, jährlich beginnt und schließt eine Klasse ab", sagt Søren Brand. Die Absolventen erhielten außerdem ein Teilnahme-Zertifikat, das ihnen bei späteren Bewerbungen für Praktika, Ausbildung oder Studium Vorteile verschaffen könne.
Finanzielle Förderung
Pro Person kostet die Teilnahme 165 Euro im Monat, ein Betrag, den sich viele Familien nicht leisten können. "Das wollen wir vermeiden, deshalb unterstützen etwa Bremer Unternehmen die Teilnahme finanziell", sagt der Sprecher. "Wir freuen uns über weitere Firmen, die auf diese Weise Kinder unterstützen wollen." Außerdem werde es über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) vom Land Bremen sowie als anerkanntes Bildungsprogramm gefördert. Neben der Akademie gibt es dreimal im Jahr Feriencamps an drei Tagen mit jeweils vier Stunden.
Die Schüler sind mit dem A 320 kurz vor der Landung. "Bei 2000 Fuß Höhe fahren wir die Räder aus", sagt Marcel Eilert. "Ich würde sagen, nach dem Aufsetzen starten wir gleich wieder durch, ihr wechselt und wir fliegen zurück nach Bremen."