Odessa sei eine traumhaft schöne Stadt, erzählt Antje Grotheer. Mitunter könne man dort fast vergessen, dass Krieg herrsche. Präsent sei er in den Häuserruinen, den Panzersperren, den Militärpatrouillen und der permanenten Bedrohung von Raketen- und Drohnenangriffen. „Am stärksten spürt man ihn aber in den Menschen“, sagt die Präsidentin der Bremischen Bürgerschaft. „Sie sind vom Krieg gezeichnet.“
Am Montagabend ist Grotheer mit vielen Eindrücken von einem Kurzbesuch in der Hafenstadt im Süden der Ukraine zurückgekehrt, mit der Bremen partnerschaftlich verbunden ist. „Es wird Monate dauern, bis man das verarbeitet hat“, sagt sie. Eine kleine Bremer Delegation hatte sich dort anschauen dürfen, ob, wie und wo die Geld- und Sachspenden aus Bremen angekommen sind. Und man hat sich vergewissert, dass die Unterstützung lebenswichtig ist und bleibt, betont Pastor Bernd Kuschnerus: „Es ist uns ein großes Anliegen, dass die Solidarität nicht abebbt.“

Erschütternde Ansichten auf dem Kriegsfriedhof am Stadtrand von Odessa.
Die offizielle Reise war von der Bremer Stiftung Solidarität Ukraine initiiert worden. Seit Kriegsausbruch entsendet die Stiftung in Partnerschaft mit zahlreichen Bremer Unternehmen, lokalen Hilfsorganisationen, der Bremer Evangelischen Kirche und dem Bremer Senat Hilfstransporte in die Ukraine. Der Zusammenschluss von Wirtschaft, Politik, Kirche und Zivilgesellschaft zeichne Bremen aus, lobt Grotheer: „Wenn es eine Krise gibt, ziehen alle an einem Strang.“ Einer der Motoren der Ukrainehilfe ist Andreas Hamburg, Pastor der St. Markus-Gemeinde in Arsten, der selbst aus der Ukraine stammt. Nach Angaben der Stiftung sind dort bislang 110 Lkw mit einer Ladung von insgesamt rund 3300 Tonnen und im Wert von rund drei Millionen Euro angekommen. Investiert wurden sie überwiegend in sozialen und medizinischen Einrichtungen wie Kitas, Krankenhäusern und Altenheimen, in Form von Zahnarztstühlen, Röntgen- und Ultraschallgeräten, Intensivbetten, Rollstühlen und Rollatoren. Lebenswichtig seien auch die Lieferungen von Generatoren zur Stromerzeugung, erklärt Grotheer. „Wenn bei der Operation der Strom ausfällt, kann das tödlich sein.“
Die Bremer hatten unter anderem ein städtisches Kinderkrankenhaus besucht, für das aus Bremer Spendengeldern ein Beatmungsgerät für die Frühchen-Intensivstation angeschafft werden konnte. „Bereits direkt nach der Installation konnte damit das Leben eines Neugeborenen gerettet werden“, berichtet Kuschnerus. „Ich habe das Baby noch gesehen. Da gehen Sie dann selbst so dankbar raus.“ Das medizinische Personal habe berichtetet, dass sich die Zahl der Früh- und Totgeburten und die Zahl der Kinder, die mit schweren Erkrankungen auf die Welt kommen, seit Kriegsbeginn signifikant erhöht, teilweise verdoppelt habe. Umso größer sei der Einsatz für jedes einzelne der kleinen Menschenleben. „Die Krankenschwestern sind für mich die wahren Heldinnen. Eine sagte: Wenn Bombenalarm kommt, gehen wir nicht in den Keller. Wir bleiben auf der Station“, erzählt der Schriftführer der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK). „Sie erklärte: Wir verlieren so viele Menschen. Da müssen wir um jedes Kind kämpfen.“

Spenden aus Bremen halfen, ein Mutter-Kind-Reha-Zentrum in Odessa mit aufzubauen. Ronald Speidel, Vorstand der Stiftung Solidarität Ukraine, Antje Grotheer und Pastor Bernd Kuschnerus (v.l.) schauen sich die Räumlichkeiten an.
Die Dankbarkeit und Wertschätzung, die die Besucher aus Bremen erfuhren, sei unglaublich, „schon fast beschämend“, berichtet Grotheer. „Es war unseren Partnern in der Ukraine sehr wichtig, uns zu zeigen, dass sie mit dem, was wir schicken, gut umgehen.“ Besonders beeindruckt habe sie der „unbändige Überlebenswille“ der Menschen vor Ort: „Sie versuchen, in ihrem Alltag so viel Normalität wie möglich zu leben.“ Das größte Geschenk an den hohen Gast: ein Besuch bei einer Aufführung im Opernhaus in Odessa – „der ganze Stolz der Stadt“, so Grotheer. Obwohl ein Viertel der Künstler im Kriegsdienst sei und mehrere bereits gefallen, werde das Programm aufrechterhalten. „Schwer zu ertragen“ sei jedoch der Besuch auf dem Friedhof von Odessa gewesen, berichtet die Bürgerschaftspräsidentin. „Auf den Grabsteinen sieht man Hunderte von Gesichtern ganz junger Männer.“ Die ukrainische Flagge weise sie als Kriegsgefallene aus. „Und neben diesen endlosen Reihen liegt ein zweites Gräberfeld, das gerade ausgehoben wurde. Alle gehen davon aus: Es wird noch gefüllt“, erzählt sie. „Das geht Ihnen durch Mark und Bein.“
Die Homepage www.stiftung-solidaritaet-ukraine.de gibt einen Überblick über die Projekte, die mit Bremer Hilfe in der Ukraine umgesetzt werden konnten oder noch umgesetzt werden sollen. Bremer Unternehmen und Privatleute, die sich mit Geld- oder Sachspenden engagieren möchten, finden dort die nötigen Informationen. Auch für die dritte Kriegs-Weihnachtszeit ruft die Stiftung wieder zur Weihnachtsaktion auf. Im BEK-Informationszentrum Kapitel 8, Domsheide 8, sind kostenlose Stoffbeutel erhältlich, die mit kleinen Präsenten für ukrainische Kinder und Erwachsene gefüllt werden können.