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Thorsten Schäfer-Gümbel im Interview "Ich kann die Union nur davor warnen, in alle Richtungen zu blinken"

Thorsten Schäfer-Gümbel (45) ist seit 2009 Fraktions- und Landeschef der hessischen SPD. Im Interview spricht er über den Bundes-Wahlkampf 2017, die CDU und Sigmar Gabriel.
27.09.2015, 00:00 Uhr
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Thorsten Schäfer-Gümbel (45) ist seit 2009 Fraktions- und Landeschef der hessischen SPD. Im Interview spricht er über den Bundes-Wahlkampf 2017, die CDU und Sigmar Gabriel.

Herr Schäfer-Gümbel, in Bremen hat die SPD einmal mehr die Landtagswahl gewonnen. Die Bundes-SPD ist hingegen in Umfragen bei rund 25 Prozent festzementiert. Wie erklären Sie sich das?

Thorsten Schäfer-Gümbel: Ich gebe nicht viel auf Umfragen. Umfragen sind Momentaufnahmen und die nächste Bundestagswahl ist in zwei Jahren. Und die Zustimmung zur schwarz-roten Bundesregierung ist nach wie vor hoch. Aber wir haben noch viel Arbeit vor uns. Wir gewinnen Vertrauen zurück durch konkrete Regierungsarbeit: Mindestlohn, Frauenquote, Mietpreisbremse, Energiewende. Wir geben Antworten für das Hier und Jetzt, wie ja Angela Merkel auch. Aber die Kanzlerin fährt ausschließlich auf Sicht. Wir sind die Partei, die auch die Antworten für morgen und übermorgen gibt.

Mit welchen Themen könnte die SPD bis zur Bundestagswahl 2017 punkten?

Enorm wichtig ist der gesellschaftliche Zusammenhalt und der Erhalt unseres Wohlstands auch in Zukunft. Das sind zwei Seiten einer Medaille. Deshalb habe ich in meiner Rede vor der Bremer SPD klar gesagt: Wir müssen dafür sorgen, dass die in Deutschland lebenden Menschen und die Flüchtlinge nicht gegeneinander ausgespielt werden. Daran wird sich der soziale Zusammenhalt im Land entscheiden und wir Sozialdemokraten müssen das durchsetzen. Andere sehe ich da auf weiter Flur nicht.

Inwiefern ist Angela Merkels großes Ansehen in der Bevölkerung ein Grund dafür, dass die SPD nicht aus ihrem Umfragetief heraus kommt?

Ich halte nichts von einer ängstlichen Haltung. Die SPD muss stark werden, ohne ständig auf die anderen zu gucken. Sicherlich spielt eine Rolle, dass Angela Merkel ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln sucht. Das kommt durchaus an. Aber Sicherheit ist nur inszeniert, wenn man nicht heute schon dafür sorgt, dass es uns auch in Zukunft gut geht. Die Welt ist gegenwärtig sehr dynamisch. Niemand kann sagen, falls wir nächstes Jahr dieses Interview wiederholen sollten, ob das dann immer noch so ist.

Vor der Sommerpause gab es in der Partei viel Kritik an Sigmar Gabriel. Seine Position ist, und nun dürfen sie den Satz fortführen,...

... Vorsitzender der SPD.

Wie gut ist er denn, Ihr Vorsitzender?

Sigmar Gabriel hat gerade in den vergangenen Wochen gezeigt, dass er ein guter Parteivorsitzender ist. Er hat in der Flüchtlingsfrage eine klare Haltung bewiesen, deutliche Worte gefunden und gleichzeitig hart daran gearbeitet, dass den Worten der Kanzlerin auch konkrete Taten folgen. Er hat zuvorderst dafür gesorgt, dass Deutschland diese Herausforderung meistern kann.

Angela Merkel fährt in der Flüchtlingsfrage auf Sicht, Horst Seehofer trifft sich ausgerechnet mit Viktor Orban und Sigmar Gabriel warnt unentwegt vor möglichen gesellschaftlichen Verwerfungen. In der Flüchtlingspolitik fehlt dieser Bundesregierung eine klare Linie ...

... es gibt jedenfalls erhebliche Differenzen zwischen den Unionsparteien. Sigmar Gabriel hat schon seit langer Zeit gesagt, dass die Flüchtlingszahlen ein großes Thema und eine Herausforderung sind. Aber die Union hat das lange Zeit ausgesessen. Jetzt kostet es viel Kraft, das alles zusammen zu ruckeln – und es ruckelt ja ordentlich, insbesondere zwischen CSU und CDU. Am Ende hat die Bundesregierung aber diese Woche gute Beschlüsse gefasst. Aber noch etwas: Es ist unsäglich, dass Horst Seehofer sich Rat bei Rechtspopulisten holt. Ich kann die Union nur davor warnen, in alle Richtungen zu blinken. Dann gehen wir ganz schweren Auseinandersetzungen entgegen.

Wie groß ist denn die Gefahr, dass Deutsche und Zuwanderer gegeneinander ausgespielt werden?

Das darf nicht passieren! Was zum Beispiel bedeutet die große Zahl an Flüchtlingen für den Wohnungsbau? Wir werden neue Stadtteile bauen müssen und zwar für alle Menschen. Bezahlbarer Wohnraum ist schon lange ein Thema. Darin liegt aber auch eine Riesenchance, den ohnehin schwierigen Wohnungsmarkt in den Griff zu kriegen. Es muss aber klar sein, dass wir Wohnungen für alle brauchen, nicht nur für Flüchtlinge.

Die Europäische Union will nun die Außengrenzen besser gegen Schleuser absichern und für die Flüchtlinge sogenannte Hot-Spots einrichten. Ist das eine Lösung des Problems?

Das ist keine Lösung des Problems. Die Lösung liegt in den wirtschaftlichen, sozialen und friedenspolitischen Rahmenbedingungen in den Krisenregionen dieser Welt. Der Teil der Pläne betrifft den Umgang mit Flucht, nicht die Ursachen. Die Flüchtlinge sollen an der Außengrenze der EU registriert werden. Anschließend müssen sie innerhalb Europas vernünftig verteilt werden. So können die Hot-Spots den Menschen einen Teil ihrer gefährlichen Reise ersparen. Für diesen Teil können die Pläne der EU in der Tat ein Ansatz sein, damit wir nicht Zustände wie an der ungarischen Grenze erleben müssen.

Wenn Sie sagen, die Probleme müssen in den Krisenregionen gelöst werden. Sollten westliche Politiker auch mit Syriens Diktator Baschar al-Assad reden?

Helmut Schmidt hat einmal gesagt, es ist besser, 100 Stunden miteinander zu reden, als eine einzige Minute aufeinander zu schießen. Deshalb muss man mit den Akteuren reden. Der Schlüssel zu Assad liegt in Moskau – und für Syrien auch im Iran. Wenn das historische Abkommen mit dem Iran funktioniert, dann gibt es eine echte Chance auf mehr Frieden in dieser Region.

Das Interview führte Norbert Holst.

Zur Person: Thorsten Schäfer-Gümbel (45) ist seit 2009 Fraktions- und Landeschef der hessischen SPD sowie seit November 2013 stellvertretender Bundesvorsitzender seiner Partei.

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