Mit 35 Jahren übernimmt Philip W. Herwig das Familienunternehmen Röhlig und führt eine neue Struktur ein. Und er hat große Ziele: Bis 2018 will er den Rohertrag um 30 Prozent steigern.
Herr Herwig, Ihr Unternehmen ist in mehr als 30 Ländern vertreten, der größte Teil Ihrer Angestellten arbeitet nicht in der Hansestadt. Ist Röhlig noch ein Bremer Unternehmen?
Philip W. Herwig: Röhlig ist ein Bremer Unternehmen mit einer sehr internationalen Ausrichtung. Der Bezug zu Bremen ist aber schon allein dadurch gegeben, dass wir hier 1852 gegründet wurden und unser Stammsitz hier ist. Außerdem leben wir – die Eigentümerfamilie – in Bremen. Dass wir international ausgerichtet sind, spiegelt sich auch in der Geschäftsführungsebene wider: Die Geschäftsführer sitzen in Miami, Hongkong, Johannesburg, Hamburg und Bremen.
Röhlig organisiert nicht nur Transporte innerhalb Europas, sondern seit jeher interkontinentale See- und Luftfracht außerhalb des Euroraums. Die großen Volkswirtschaften wie China oder Brasilien schwächeln aktuell. Wie sehr macht es Ihrer Firma zu schaffen, wenn eines dieser Länder taumelt?
Durch das große Netz weltweit sind wir in der glücklichen Lage, dass, wenn es in einem Land mal etwas hakt, wir das in anderen Märkten auffangen können. Das kann man am Beispiel Asien festmachen: China ist im Moment vielleicht ein etwas schwieriger Markt, aber insgesamt hat der asiatische Raum für unser Unternehmen eine positive Entwicklung im laufenden Geschäftsjahr genommen.
Gibt es weitere Länder, die Sie sich im Röhlig-Kosmos vorstellen können?
Sicherlich, da gibt es einige. Aber wir treiben aktuell geografisch keinen Expansionskurs voran. Unser Fokus ist gerade ein anderer: Erst einmal hat es im Unternehmen den Generationenwechsel gegeben. Und wir stecken mitten in einem Wachstumsprogramm, „Blue Future“, das ich vorantreibe, um Röhlig fit für die Zukunft zu machen. Mit dem Programm wollen wir auf die Veränderungen im Markt und bei den Kundenanforderungen eingehen. Wir waren mit dem Wachstum, das Röhlig vor der Finanzkrise hatte, sehr glücklich. Und wir sind gut durch die Finanzkrise gekommen – aber wir haben es nicht geschafft, wieder so zu wachsen, wie vor der Krise. Das wollen wir durch „Blue Future“ ändern.
Wie soll das konkret funktionieren?
Die Grundpfeiler der Firma sind dieselben, wie vor dem Generationenwechsel: Wir sind das familiengeführte, finanziell unabhängige Unternehmen aus Bremen. Die Bereiche Luft- und Seefracht, Projektgeschäft und Supply Chain Management sind unsere Kernkompetenzen. Aber wir werden unsere interne Struktur anpassen: Früher war Röhlig regional mit sehr starken Landeschefs organisiert. Heute sind die Anfragen viel globaler, sie sind detaillierter und sie kommen immer schneller. Darauf können wir besser mit einer divisionalen Struktur reagieren. Auf Geschäftsführungsebene arbeiten wir so seit Januar, es gibt nun die Sparten Verkauf, Seefracht, Luftfracht, Personal und Kommunikation sowie Finanzen und IT. Die Landeschefs werden auch in Zukunft ihre Märkte und ihre Kunden betreuen. Aber es gibt beispielsweise zusätzlich eine globale Verkaufsstrategie, die sie unterstützt.
Für ein Unternehmen wie Röhlig, wo die regionalen Niederlassungen traditionell immer sehr stark und autonom waren, ist das eine Revolution...
Dem würde ich widersprechen. Ja, es ist eine Veränderung, eine positive. Wir überlegen uns nicht von Bremen aus, wie die Welt in Australien oder den USA funktioniert und stülpen dann über alle den „Blue Future“-Hut. Stattdessen haben wir Gespräche mit Mitarbeitern aller Hierarchiestufen und aus allen Ländern darüber geführt, wie wir noch besser werden können. Aus diesem Feedback ist am Ende eine Strategie für jeden einzelnen Bereich entstanden, die wir jetzt in den Ländern vorstellen und dort darüber sprechen, wie wir diese in den Märkten und mit den Kunden gut und wirkungsvoll implementieren.
Sie zielen damit – das sagen Sie selbst – auf schnelleres Wachstum. Ist der einstige Röhlig-Leitspruch „Innere Stärke statt schneller Gewinn“ damit am Ende?
Nein, denn wir wollen ja nach wie vor aus der inneren Stärke heraus wachsen. Wir möchten mit dem, was jetzt schon bei Röhlig vorhanden ist, wachsen, ganz einfach indem wir Prozesse und Abläufe optimieren.
Wie viel Wachstum erwarten Sie konkret?
Bis 2018 wollen wir den Rohertrag um 30 Prozent steigern und eine Profitabilität von 18 Prozent erreichen.
Wo sind dabei die größten Herausforderungen für Röhlig?
Der Margendruck und das veränderte Kundenverhalten sind die großen Herausforderungen. Aufträge werden immer häufiger und für immer kleinere Mengen ausgeschrieben. Aber das sind Themen, auf die wir uns mit unserem Programm einstellen. Für unsere Branche ist die Digitalisierung definitiv die größte Herausforderung. Jeder muss für sich entscheiden, wie er damit umgeht. Wir haben den Riesenvorteil, dass wir in sehr vielen Märkten unterwegs sind. Bei der Digitalisierung sind uns beispielsweise Australien und die USA weit voraus, da können wir uns für die anderen Märkte etwas abschauen.
Im Jahr 2002 war Röhlig einer der ersten mittelständischen Logistiker in Bremen, der in einem Geschäftsbereich seine Zahlen offengelegt hat. Damals gab es einen kleinen Aufschrei innerhalb der Branche, der Vorwurf lautete: Röhlig verdirbt die Bremer Sitten. Wie sehr fühlen Sie sich der hanseatischen Tradition heute noch verpflichtet?
Wir sind ein hanseatisches Unternehmen. Möchte ich deswegen auf Transparenz und Offenheit verzichten? Nein, denn die zeichnen unser Unternehmen aus. Wir sind offen mit unseren Mitarbeitern, wir sind offen mit unseren Kunden und wir sind offen mit unseren Banken.
Fühlen Sie sich im Bremer Logistik-Umfeld damit wie ein Exot?
Sagen wir es mal so: Wenn ich eine Idee habe, dann möchte ich sie sofort innerhalb des Unternehmens teilen. Dabei darf die Hierarchie keine Barriere sein, denn die Mitarbeiter sollen die Idee und ihre Auswirkungen rückkoppeln. Je mehr Ideen wir mit den Mitarbeitern besprechen, desto mehr bessere Vorschläge fliegen durch die Luft. Würde ich mir nur im stillen Kämmerlein Gedanken machen, würden viele Ideen einfach im Sande verlaufen. Vielleicht ist diese Einstellung ein wenig exotisch, aber so bin ich.
Sie haben zwei Brüder, die ebenfalls eine wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung haben. Warum wurde entschieden, dass Sie derjenige sind, der das Unternehmen weiterführt?
Meine Eltern hatten mit meinen Geschwistern und mir die Abmachung, dass wir uns den ersten Job selbst suchen müssen. Ihnen war wichtig, dass wir unseren eigenen Weg finden. Und es gab keinen Druck, dass die Firma von einem von uns übernommen werden muss. Ich habe irgendwann gemerkt, dass mich das Familienunternehmen interessiert, und habe dann das Gespräch mit meinem Vater gesucht. Meine Brüder haben ganz alleine für sich entschieden, dass sie nicht in die Firma wollen. Aber durch eine Familiengesellschaft, die Anteile an der Firma hält, ist so oder so jeder einzelne von uns eng mit dem Unternehmen verbunden.
Sie führen Röhlig nun in sechster Generation. Wie hoch ist der Druck, das Unternehmen weiterhin erfolgreich zu leiten?
Ich mache mir keinen Druck. Natürlich habe ich Respekt vor der Aufgabe, weil ich bewundere, was die Generationen vor mir – besonders mein Vater – erschaffen und weiterentwickelt haben. Aber ich fühle mich vorbereitet. Wir sind ein Familienunternehmen. Das bedeutet, dass meine Brüder und ich mit der Firma aufgewachsen sind und sie deswegen gut kennen.
Sie sind mit 35 Jahren ein recht junger Chef für eine Firma mit etwa 2000 Mitarbeitern. Spielt das Alter in Ihrem Alltag eine Rolle?
Das liegt im Auge des Betrachters. Für meine Kinder bin ich steinalt (lacht). Aber ich bin von Anfang an gut aufgenommen worden. Und ich habe ein unheimlich gutes Geschäftsführerteam, das das Geschäft seit Langem kennt. Mein Alter ist für mich auf keinen Fall ein Hindernis.
Gibt es in der Unternehmensführung etwas, was Sie sich von Ihrem Vater abgeschaut haben?
Das ist schwierig zu beantworten, weil mein Vater und ich zu Hause dieselben sind, wie in der Firma. Wenn ich ins Büro gehe, bin ich derselbe wie zu Hause – ich verstelle mich nicht.
Das Interview führte Maren Beneke.
Zur Person: Philip W. Herwig (35) hat International Business Management im britischen Chelmsford studiert. Bis 2011 gewann er für Weiss-Röhlig in Dubai Neukunden und war für die Verkaufsorganisation verantwortlich. Im Anschluss entwickelte der Familienvater von Chicago aus die See- und Luftfrachtverkehre zwischen Europa und den USA, bevor er im Januar Managing Partner bei Röhlig Logistics wurde.
Das Unternehmen in Zahlen
Weltweit arbeiten circa 2200 Mitarbeiter für Röhlig, in Bremen sind es etwa 140. Innerhalb der ersten neun Monate dieses Jahres konnte der Logistiker seinen Rohertrag des Geschäftsjahres 2014 in Höhe von 109,7 Millionen Euro um 16 Prozent deutlich steigern. Auch das operative Ergebnis hat sich nach Unternehmensangaben verbessert, 2014 lag es bei 7,2 Millionen Euro. Besonders erfreulich sei das Wachstum in den wichtigen Regionen Nordamerika, Asien und Südafrika, in denen der Rohertrag bis September 2015 um jeweils mehr als 25 Prozent über dem Vorjahr liegt.
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