In Hamburg hat die Pandemie dazu geführt, dass deutlich mehr Kinder eine Klasse wiederholt haben. Im laufenden Schuljahr wiederholten mehr als 2800 Hamburger Schülerinnen und Schüler eine Klassenstufe – rund 1000 Kinder mehr als im Vorjahr.
Bremen hat das Sitzenbleiben abgeschafft. Seit 2008/09 ist Wiederholen nur noch auf freiwilliger Basis möglich. In den vergangenen Jahren wiederholten wenige Bremer Schülerinnen und Schüler ein Jahr. Auch Hamburg setzt generell nicht auf Sitzenbleiben. Dort gilt ähnlich wie in Bremen das Prinzip "Fördern statt Wiederholen".
In Niedersachsen wiederholen derzeit etwa 13.400 Kinder eine Klassenstufe (2,2 Prozent). Damit liegt ihr Anteil wieder auf einem ähnlichen Niveau wie vor der Pandemie, berichtet der NDR. Nach dem ersten Corona-Sommer war die Zahl der Wiederholer in Niedersachsen fast um ein Drittel gesunken. Das Kultusministerium führte dies darauf zurück, dass in der ersten Pandemie-Phase mit Homeschooling und Wechselunterricht weniger streng benotet worden sei.
Haben in Bremen in der Pandemie mehr Kinder ein Jahr wiederholt?
Nein, der Anteil der Wiederholer blieb im Land Bremen in jüngster Zeit stabil. Im Schuljahr 2019/20 lag er ebenso wie 2020/21 bei 1,2 Prozent. Laut Bildungsbehörde wiederholen im laufenden Schuljahr etwa 550 Kinder an Grundschulen, Oberschulen und Gymnasien eine Klasse. Das entspricht etwa 1,1 Prozent der Schülerschaft. Nach der Abschaffung des Sitzenbleibens sank die Zahl der Wiederholungen. 2008/09 lag ihr Anteil noch bei 2,7 Prozent.
Warum verzichtet Bremen auf Sitzenbleiben?
„Die bildungspolitische Forschung zeigt, dass sich der fromme Wunsch, Sitzenbleiben führe zu besseren Leistungen, nicht erfüllt hat", sagt Bildungssenatorin Sascha Aulepp (SPD). Im Gegenteil seien oft Frustration und Verunsicherung die Folge. Leistungsverbesserungen seien wenn überhaupt nur im ersten Jahr der Wiederholung feststellbar, heißt es aus dem Bildungsressort. Sie sänken oft im Verlauf der kommenden Jahre wieder ab. Richtig sei es, Kinder kontinuierlich individuell zu unterstützen, in der Regel in ihrer Klasse als gewohnter Bezugsgruppe, so Aulepp.
In Bremen kann eine Klasse freiwillig wiederholt werden, wenn Kind, Eltern und Schule dies sinnvoll finden. Laut bremischem Schulgesetz ist Wiederholen einvernehmlich möglich, wenn zu erwarten ist, dass ein Kind dadurch besser gefördert werden kann oder seinen Abschluss verbessern kann.
Was geschieht in Bremen, wenn ein Kind das Klassenziel nicht erreicht?
"Bis zur 8. Klasse geben wir ja keine Noten mehr", erläutert Carl Böhm, stellvertretender Schulleiter der Wilhelm-Olbers-Oberschule in Hemelingen. Bis dahin erarbeite man für Kinder mit Rückständen individuelle Förderpläne. "Diese Kinder werden während der normalen Unterrichtszeit gefördert", sagt Böhm. "Und für zu Hause gibt es extra Übungsmaterial." Generell werde viel auf den individuellen Stand jedes Kindes geschaut: „Wir unterrichten in einer Klasse auf bis zu vier Niveaus."
Ende der 9. Klasse gebe es genaue Vorgaben der Behörde, sagt Böhm: Drei Fünfen oder eine Sechs und zwei Fünfen – dann heißt es, Klassenziel nicht erreicht. Schüler, die das betrifft, werden trotzdem in die 10. Klasse versetzt, aber ohne den Abschluss der einfachen Berufsbildungsreife. Sie können diesen Abschluss ein Jahr später am Ende der 10. Klasse machen.
„Das Zurückstufen ist meistens nicht zielführend", sagt Böhm. Er befürwortet Bremens System ohne Sitzenbleiben. Allerdings sei die Förderung, die stattdessen greifen soll, "nicht immer so hinterlegt, wie man es bräuchte", sagt er: "An bestimmten Oberschulen und gerade an Schulen in der Peripherie haben wir eben einen Personalmangel. Wir müssen schon kreativ sein, um Förderung zu gewährleisten."
Was sagen Wissenschaftler zum bremischen Vorgehen?
Der Bildungsforscher Klaus Klemm fasst seine Studie für die Bertelsmann-Stiftung 2009 so zusammen: Sitzenbleiben sei teuer und unwirksam. Weder die nicht versetzten Schülerinnen und Schüler noch diejenigen, die in der Klasse verblieben, zeigten durch Wiederholungen eine bessere Lernentwicklung.
Der Bildungsökonom Jan Bietenbeck kam 2017 in seiner Doktorarbeit dagegen zu dem Schluss, dass sich das Sitzenbleiben von lernschwachen Schülern zwar zuerst negativ auf den Lernstand ihrer Mitschüler auswirke, ihre Lerndisziplin und Abschlüsse aber langfristig positiv beeinflusse.
"Die kürzlich veröffentlichten Bremer Leistungsvergleiche LALE 5 und 7 haben uns für das laufende Schuljahr deutlich vor Augen geführt, dass vielen Bremer Schülerinnen und Schüler ein für ihre Jahrgangsstufe ausreichendes Kompetenzniveau fehl", sagt Hauke Hilz von der Bremer FDP-Fraktion in Bremen. "Sie im Alltag so individuell zu fördern, dass ein aufholendes Lernen ermöglicht wird, bindet Ressourcen, die unsere Bildungslandschaft nicht hat. Das Wiederholen einer Klassenstufe ist deshalb für Schülerinnen und Schüler eine Chance, versäumte Grundlagen aufzuholen und den Leistungsanforderungen gerecht zu werden."