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Bremer SPD-Fraktionschef "Die Schuldenbremse war ein Fehler"

Ist es ungerecht, kommenden Generationen Schulden zu hinterlassen? Noch ungerechter wäre es, jetzt zu sparen und ihnen eine kaputte Umwelt zu hinterlassen, sagt Bremens SPD-Fraktionschef Güngör im Interview.
12.12.2023, 05:00 Uhr
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Von Jürgen Theiner

Herr Güngör, auf dem Bundesparteitag der SPD haben Sie am Wochenende die Abschaffung der Schuldenbremse in Bund und Ländern gefordert – also die Streichung des Verfassungsgebots, dass die Staatsausgaben grundsätzlich ohne neue Kredite zu bestreiten sind. Die Schuldenbremse wurde eingeführt, um ausufernde Staatsverschuldung zu verhindern. Was ist falsch daran?

Mustafa Güngör: Es war ein Fehler, die Schuldenbremse in die Verfassungen von Bund und Ländern aufzunehmen. Für eine verantwortungsvolle Haushaltspolitik braucht es keine solch starren Vorgaben. Im Gegenteil: Eine verantwortungsvolle Haushaltspolitik muss solide sein, sie braucht aber auch Spielräume für Investitionen. Es zeigt sich heute, dass wir in Deutschland abgehängt sind – etwa bei der Infrastruktur oder der Digitalisierung. Und wir haben die große Herausforderung der klimagerechten Transformation. Das alles lässt sich ohne eine Kreditaufnahme der öffentlichen Hand nicht bewerkstelligen.

Aber ist nicht gerade Bremen ein abschreckendes Beispiel dafür, dass eine zu große Schuldenlast die Zukunftsfähigkeit eines Landes ebenfalls gefährden kann? Bremen hat die mit Abstand größte Pro-Kopf-Verschuldung unter den Bundesländern. Rund 550 Millionen Euro gehen dieses Jahr für Zinsen drauf – Geld, das für Zukunftsinvestitionen fehlt.

Das Problem mangelnder Zukunftsinvestitionen ist kein spezifisch bremisches, sondern ein bundesweites. Die Schuldenquote Deutschlands ist im Vergleich mit anderen wirtschaftlich starken Nationen ausgesprochen gering. In vielen dieser Länder ist die staatliche Infrastruktur inzwischen besser. Der Schaden, den wir in Deutschland durch rigides Sparen anrichten, ist deutlich schwerwiegender als die künftige Zinslast für den Staat durch Kredite für Investitionen. Gerade in Zeiten vielfacher Krisen. Da sind wir übrigens beim Thema Generationengerechtigkeit.

Sie haben da ein anderes Verständnis als die Befürworter der Schuldenbremse.

Genau. Die argumentieren ja immer, dass man den Kindern und Enkeln durch Kredite zu hohe Lasten aufbürdet. Generationengerechtigkeit bedeutet für mich, dass wir unseren Kindern eine lebenswerte Welt hinterlassen mit einem erträglichen Klima, guten Bildungschancen und einer gesunden Infrastruktur – und nicht eine schwarze Null, auf die wir dann stolz wie Bolle sind.

Um die Schuldenbremse in der Bremer Landesverfassung zu streichen, bräuchten Sie eine Zweidrittelmehrheit im Parlament und damit die Zustimmung von Teilen der Opposition. Wie wollen Sie das erreichen?

Ich würde auf CDU und FDP zugehen und versuchen, sie zu überzeugen. Das habe ich in der Vergangenheit übrigens schon getan, wenn auch mit mäßigem Erfolg.

Sie müssten der CDU im Gegenzug etwas anbieten.

Ganz konkret würde ich anbieten, unsere Wirtschaft bei der klimagerechten Transformation so gut zu unterstützen, dass neue Arbeitsplätze entstehen und wir bei der Qualität der Infrastruktur Vorreiter werden – etwa bei der Digitalisierung. Das sind doch Ziele, bei denen Einvernehmen herrschen müsste.

Wenn die Schuldenbremse in Grundgesetz und Landesverfassung tatsächlich gestrichen würde – wonach es nicht aussieht: Wofür würden Sie die neuen Spielräume in Bremen konkret einsetzen?

Ein wichtiger Punkt ist unter anderem eine umfassende Wärmeplanung für unsere beiden Stadtgemeinden Bremen und Bremerhaven. Wir müssen massiv in die energetische Sanierung unserer Gebäude investieren. Auch die Stahlwerke brauchen Unterstützung, um sich zukunftsfest aufstellen und grünen Stahl produzieren zu können.

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Das sind alles Projekte, die im 2,5 Milliarden Euro umfassenden Klimaschutzpaket enthalten sind, das die Bürgerschaft im Frühjahr beschlossen hat. Mit diesem Paket gibt es nun aber Probleme. Es war als mehrjähriger, bis 2027 reichender Kreditrahmen angelegt, aus dem die Vorhaben finanziert werden sollten. Solche „Schulden auf Vorrat“ hat das Bundesverfassungsgericht kürzlich aber untersagt. Wie kriegt Rot-Grün-Rot den Klimaschutz jetzt unter den Bedingungen der Schuldenbremse auf die Reihe?

Wir werden für 2024 erneut eine Notlage im Zeichen der Klimakrise erklären. Ein solcher Schritt der Bürgerschaft eröffnet für das kommende Jahr die Möglichkeit, eine Ausnahmeregelung der Schuldenbremse zu nutzen und kreditfinanzierte Investitionen in den Klimaschutz umzusetzen. Was nicht geht, ist zu sagen: Na gut, dann stemmen wir diese Maßnahmen eben aus dem regulären Bremer Haushalt. Das sind ganz andere Größenordnungen, und das muss man auch so ehrlich sagen.

Die Fragen stellte Jürgen Theiner.

Zur Person

Mustafa Güngör

gehört der SPD-Bürgerschaftsfraktion seit 2007 an. 2019 wurde er ihr Vorsitzender. Der 45-jährige Osterholzer ist selbstständiger Kaufmann, er betreibt eine IT-Firma.

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