Um kriminellen Clans den Nachwuchs zu entziehen, hat Nordrhein-Westfalen vor drei Jahren mit einem Aussteigerprogramm für Kinder und Jugendliche aus diesen Großfamilien begonnen. Laut Landeskriminalamt mit Erfolg: Derzeit seien 39 Kinder und Jugendliche von acht bis 17 Jahren aus polizeibekannten Clanfamilien oder deren direktem Umfeld in dem Programm. In Bremen gibt es so ein Programm im Zusammenhang mit Clanstrukturen nicht, heißt es auf Anfrage des WESER-KURIER seitens der Innenbehörde. Um Kinder und Jugendliche mit entsprechenden Problemen werde sich trotzdem gekümmert.
"Wir tun alles, um die Leute aus krummen Geschäften herauszuholen und wieder auf die gerade Bahn zu bringen", betonte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). Mit diesem präventiven Ansatz zeige man Menschen, "die sich eindeutig von Kriminalität und Straftätern distanzieren gute Alternativen".
In Bremen gab es einst einen gemeinsamen Dringlichkeitsantrag von SPD, Grünen, CDU und FDP. 2019 forderten deren Fraktionen den Senat auf, ressortübergreifende Konzepte sowohl zur Bekämpfung der Clankriminalität als auch zur Verbesserung der Integration und Teilhabe von Angehörigen ethnisch abgeschotteter Clans zu entwickeln. Dabei sollte es nicht nur um repressive Maßnahmen wie die konsequente Strafverfolgung gehen, sondern ausdrücklich auch um die soziale Einbindung insbesondere von jungen Mitgliedern der Großfamilien. Geprüft werden sollten "Ausstiegs- und Resozialisierungsprogrammen speziell für Frauen, Jugendliche und junge Erwachsene".
"Die Kurve kriegen"
Es gibt ein entsprechendes Konzept, sagt vier Jahre später Bernd Schneider, Sprecher der Sozialbehörde. Das sei allerdings breiter angelegt und ziele auf alle Bevölkerungsgruppen. "Wir haben Hilfsangebote, es gibt die Strukturen und Anlaufstellen, aber nicht unter der Etikettierung 'Clankriminalität'." Der sozialpolitische Ansatz des "Teilhabe- und Diversity-Konzeptes" in Bremen laute, Menschen mit Integrationsbedarfen nach ihren individuellen Bedürfnissen zu unterstützen. "Dabei schauen wir nicht, ob jemand 'Miri' heißt."
Womit Bremen sich weniger von Nordrhein-Westfalen unterscheidet, als auf den ersten Blick vermutet. Denn auch dort ist das Aussteigerprogramm für Clanangehörige Teil eines umfassenderen Präventionsprojektes. Unter dem Titel "Kurve kriegen" rief Reuls Vorgänger Ralf Jäger (SPD) dieses Projekt vor 13 Jahren ins Leben. Das Programm richtet sich an alle Kinder und Jugendliche im Alter von acht bis 15 Jahren, die mit Gewalttaten oder Eigentumsdelikten ins Visier der Strafverfolgungsbehörden geraten sind. Polizei und Sozialarbeiter gehen gemeinsam auf diese Jugendlichen und deren Eltern zu, um mit ihnen nach Wegen und Möglichkeiten zu suchen, damit die straffällig gewordenen Minderjährigen nicht komplett in die Kriminalität abrutschen. Ein Angebot an die Betroffenen, ohne jeden behördlichen Druck – wer teilnimmt, tut dies auf freiwilliger Basis.
Als man 2019/2020 damit begonnen habe, sich intensiver mit Clankriminalität zu beschäftigen, sei schnell klar gewesen, dass man dabei nicht allein auf repressive Maßnahmen wie konsequente Strafverfolgung, harte Urteile oder die "Politik der 1000 Nadelstiche" setzen konnte, erklärt Christoph Wickhorst aus der Pressestelle des nordrhein-westfälischen Innenministeriums. "Denen, die aus den kriminellen Strukturen rauswollen, reichen wir die Hand." Diesen Ansatz habe man dann an das bereits bestehende Konzept angedockt. Auch das Präventionsprojekt für Angehörige von Clans läuft also unter dem Dach von "Kurve kriegen".
Zahl der Straftaten steigt
Inzwischen wird an mehreren Standorten im Ruhrgebiet, darunter Städte wie Dortmund, Bochum, Essen, Duisburg oder Recklinghausen mit jungen Menschen gearbeitet, um sie davor zu bewahren, in kriminelle Clanstrukturen zu geraten. Auf das "Lagebild Clankriminalität" des Landeskriminalamts von NRW hat sich dies allerdings noch nicht ausgewirkt. Darin wird für 2022 ein Anstieg der Straftaten um mehr als 20 Prozent auf 6573 Delikte gegenüber dem Vorjahr verzeichnet. Eine ähnliche Entwicklung verzeichnete Niedersachsen im vergangenen Jahr. Dort stieg die Zahl der Straftaten, die der Clankriminalität zugeordnet wurden, gegenüber dem Vorjahr von 2841 auf 3986. Die Bremer Polizei registrierte im vergangenen Jahr 736 Delikte, in denen mindestens ein Beschuldigter der Clankriminalität zugerechnet wurde.