Arbeitgeber mussten im Jahr 2022 an besonders vielen Tagen auf Beschäftigte verzichten, weil sich diese "kindkrank" meldeten. Dies geht aus Zahlen der Techniker Krankenkasse (TK) und der AOK hervor, die dem WESER-KURIER vorliegen. Die TK verzeichnete im vergangenen Jahr 3100 Anträge auf Kinderkrankengeld, was im Vergleich zum Jahr 2020 fast einer Verdopplung entspricht. Hinzu kamen 590 coronabedingte Anträge, bei denen Kinder nach einem positiven Schnelltest zu Hause bleiben mussten. Was die Zahlen der TK auch zeigen: Zu 67 Prozent waren es Frauen, die für ihre kranken Kinder zu Hause blieben.
„In Bremen und Bremerhaven haben uns im Jahr 2022 zwischen Mai und Juli im Schnitt über 200 Anträge pro Monat erreicht. Das sind Zahlen, die wir sonst nur aus der klassischen Erkältungszeit kennen", erläutert Sabrina Jacob, Leiterin der TK-Landesvertretung. Dies zeige, dass auch in den Sommermonaten viele Eltern zu Hause geblieben sind, um ihre kranken Kinder zu versorgen.
Die Daten der AOK Bremen/ Bremerhaven sprechen ebenfalls für einen Anstieg der Kinderkrankentage. Die Zahl der Anträge ist 2022 aber voraussichtlich nicht gestiegen. Bis einschließlich Oktober wurde bei der Krankenkasse 6000-mal Kinderkrankengeld beantragt. Diese Zahl lässt sich für das gesamte Jahr auf 7200 hochrechnen, ungeachtet eines möglichen Wintereffekts durch Grippeviren. Im Jahr 2021 waren es noch 8400 Anträge. Damals kamen 2900 coronabedingte Fälle hinzu, 2022 belief sich diese Zahl auf 614.
AOK zahlte etwa 1,25 Millionen Euro als Kinderkrankengeld aus
Hinter der gesunkenen Zahl der Anträge verbirgt sich aber eine insgesamt höhere Zahl an Kinderkrankentagen. Denn 2022 hat die AOK hochgerechnet etwa 1,25 Millionen Euro als Kinderkrankengeld ausgezahlt. 2021 lag diese Summe noch bei 960.000. Im Jahr 2020 waren es zuvor 450.000 Euro. Dieser Sprung entstand durch die coronabedingte Ausweitung des Kinderkrankengeldes.
Aus Sicht der Arbeitgeber passen diese Zahlen für 2022 in die insgesamt hohen Krankenstände der Belegschaften. "Ich möchte diesen Befund nicht überbewerten. Ich sehe darin keinen allgemeinen Trend für das Kinderkrankengeld", sagt Cornelius Neumann-Redlin, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände im Lande Bremen.
Arbeitgeber für Rückkehr zu zehn Tagen
Natürlich werfe es immer den Betriebsplan durcheinander, wenn sich Eltern abmeldeten. "Bisher sehen unsere Verbände darin aber kein größeres Problem", so Neumann-Redlin weiter. Im Zuge der auslaufenden Corona-Regeln sei es nun an der Zeit, auch zu der Grenze von zehn Tagen Kinderkrankengeld pro Jahr zurückzukehren.
Für Sonja Bastin, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Forschungszentrums Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen, wird das Kinderkrankengeld hingegen zu selten in Anspruch genommen. "In der Pandemie haben nur 20 Prozent der Eltern diese Möglichkeit genutzt, um sich um ihre Kinder zu kümmern", sagt die promovierte Soziologin. Sie bezieht sich dabei auf eine Befragung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung vom Juni 2021. 34 Prozent der Erwerbstätigen hatten damals angegeben, ihre bezahlten Urlaubstage für die Kinderbetreuung zu nutzen.
Bastin sieht die Ursachen dafür im Arbeitsumfeld: "Oft wird die Arbeit in der Abwesenheit nicht umverteilt, sondern bleibt bei den Eltern liegen." Wer sich für die kranken Kinder bei der Arbeit abmelde, erlebe zudem teilweise Diskriminierung. Der hohe Anteil der Frauen passt für Bastin zu ihren Forschungen rund um das Thema Sorgearbeit. Diese werde noch immer überwiegend von Frauen geleistet.
Ein Problem sieht Bastin in der Deckelung des Kinderkrankengelds. In diesem Jahr zahlen Krankenkassen maximal 116,38 Euro pro Tag aus. Für Spitzenverdiener kann dies dazu führen, dass sie weniger als die vorgesehenen 90 Prozent ihres Lohns von der Kasse bekommen. "Frauen haben oft ein niedrigeres Gehalt, auch weil sie öfter in Teilzeit arbeiten", erläutert Bastin. Infolgedessen fielen dann auch die finanziellen Einbußen mit dem Kinderkrankengeld niedriger aus. Die Entscheidung, dass der Mann weiterarbeitet, hänge in Familien deshalb oft direkt mit dem Gehalt zusammen.