In der Frage, wie juristisch mit Aktionen von Klimaaktivisten umzugehen ist, hat das Amtsgericht Bremen den Antrag der Staatsanwaltschaft abgelehnt, die Wohnung eines Mitglieds der Gruppe "Extinction Rebellion" wegen eines Anfangsverdachts auf Nötigung zu durchsuchen. Das Gericht stufte in diesem Fall dem Ziel der Aktion – auf die Notwendigkeit des Klimaschutzes hinzuweisen – höher ein als die Interessen der Autofahrer. Dies geht aus der Entscheidung hervor, die vor Kurzem auf dem Rechtsportal "juris" veröffentlicht wurde. Die Staatsanwaltschaft legte dagegen Beschwerde ein, scheiterte aber auch in zweiter Instanz: Das Landgericht Bremen bezeichnete das Abwägungsergebnis des Amtsgerichts für nachvollziehbar und zutreffend.
"Nicht verwerflich"
Bei den Entscheidungen ging es um die Protestaktionen von Extinction Rebellion am 15. April 2021. Damals hatten die Klima-Aktivisten mit zeitgleichen Aktionen in der Überseestadt, im Bereich der Abfahrt A 281/Airbus-Stadt und auf einer Schilderbrücke auf der A 27 in Lesum für Verkehrsbeeinträchtigungen und Staus gesorgt. Die Staatsanwaltschaft ermittelte anschließend gegen mehrere Personen. Unter anderem gegen einen jungen Mann, dem sie vorwarf, maßgeblich an Planung, Vorbereitung und Organisation der Aktionen beteiligt gewesen zu sein sowie anschließend an einer davon auch selbst teilgenommen zu haben. Bei seinem Verhalten handele es sich um eine strafbare, gemeinschaftlich begangene Nötigung gemäß Paragraf 240 Strafgesetzbuch.
Das Amtsgericht sah das im Mai 2021 anders: Die Protestaktionen seien nicht "verwerflich" gewesen wie zur Erfüllung des Paragrafen 240 erforderlich. Demnach ist die Tat rechtswidrig, "wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist". Nicht jede Gewaltanwendung, die darauf ausgelegt ist, die Bewegungsfreiheit Dritter zu beeinträchtigen, sei als verwerflich anzusehen, argumentierte das Gericht. Bei der vorzunehmenden Gesamtbewertung des Geschehens, sei "die soziale Gewichtigkeit des Blockadeanliegens ausschlaggebend", wobei "existenziellen Fragen der Allgemeinheit grundsätzlich größeres Gewicht zukommt als Eigeninteressen". Zudem fielen die Handlungen des Beschuldigten solange unter den Schutz der im Grundgesetz verankerten Versammlungsfreiheit, wie sie nicht unfriedlich im Sinne einer "Handlung von einiger Gefährlichkeit" seien.
Wohnungsdurchsuchung abgelehnt
Letztlich sei bei der Frage der Verwerflichkeit der Protestaktionen der Eingriff in die Fortbewegungsfreiheit der Autofahrer und das Ziel der Demonstranten gegeneinander abzuwägen. Dabei kam dem Ziel, auf die Notwendigkeit des Klimaschutzes hinzuweisen, nach Auffassung des Amtsgerichts erhebliches Gewicht zu. Zumal die Fortbewegungsfreiheit der im Stau stehenden Autofahrer in diesem Fall nicht erheblich beeinträchtigt worden sei. Zumindest nicht in dem Maße, dass sie den Straftatbestand der Nötigung erfüllt und die beantragte Wohnungsdurchsuchung gerechtfertigt hätte. Auch eine besondere Gefährlichkeit für Dritte sei nicht festzustellen gewesen.
Das Landgericht stütze diese Abwägungsentscheidung des Amtsgerichts und wies die Beschwerde der Staatsanwaltschaft im Juni 2021 zurück. Die Einordnung des Geschehens als Meinungsäußerung und nicht nur als längerfristige Verhinderung des Verkehrs sei nicht zu beanstanden. Es habe weder Hinweise darauf gegeben, dass es sich um eine besonders intensive beziehungsweise dauerhafte Blockadeaktion handelte, noch darauf, dass Dritte gefährdet gewesen seien. Stadtteilübergreifende Verkehrsbeeinträchtigung kämen auch bei angemeldeten Demonstrationszügen regelmäßig vor.