Bremen hat sich das Ziel gesetzt, bis 2038 klimaneutral zu sein. Eine Enquetekommission der Bürgerschaft machte bereits im vergangenen Jahr Vorschläge, wie das geschehen kann. Nun geht es an die Umsetzung. Der Senat wird voraussichtlich am 25. Oktober eine Klimaschutzstrategie beschließen, die auch einen Katalog von Vorrangprojekten beinhaltet. Das Schlagwort lautet "Fastlane" (zu deutsch: Überholspur). Es geht also um Vorhaben, von denen man sich eine besonders hohe Minderung der Treibhausgas-Emissionen verspricht und die deshalb möglichst schnell realisiert werden sollen. Die Finanzierung führt größtenteils über neue Schulden, was Konflikte mit dem Bund auslösen könnte.
Dem WESER-KURIER liegt eine erste Fassung der Klimaschutzstrategie vor. Sie ist noch nicht endgültig zwischen allen Senatsressorts abgestimmt, beschreibt auf 25 Seiten aber schon recht detailliert den Weg, den Bremen einschlagen soll.
Die Fastlane-Projekte:
1. Umstellung der Wärmeversorgung: Geplant ist ein großflächiger Ausbau der Nah- und Fernwärmenetze. Außerdem sollen Gebäudeeigentümer über ein Landeswärmegesetz verpflichtet werden, künftig erneuerbare Energien zur Wärmeversorgung zu nutzen. Auslöser könnte jeweils ein anstehender Austausch konventioneller Heizkessel sein, die bisher mit Gas, Öl oder Kohle befeuert werden. Der Verzicht auf solche fossilen Brennstoffe (sog. Dekarbonisierung) und ihr Ersatz beispielsweise durch Wärmepumpen soll öffentlich gefördert werden. Gegenwärtig gibt es im Stadtgebiet noch rund 78.000 Erdgas- und Öl-Zentralheizungen in Wohngebäuden.
2. CO2-arme Mobilität: Stichworte sind hier neben verbesserten Bus- und Straßenbahnverbindungen der Einsatz von Fähren auf der Weser und der Ausbau von Bahnhaltepunkten. Das Rad soll bei der Fortbewegung eine größere Rolle spielen. "Hierfür müssen umfangreiche neue Infrastrukturen geschaffen werden in Form von Fahrradparkhäusern und Fahrradabstellanlagen in Wohnquartieren sowie Radpremiumrouten und stadtregionalen Radrouten samt Brücken in Bremerhaven und Bremen", heißt es in dem Senatspapier.
3. Energetische Sanierung öffentlicher Gebäude: Die öffentliche Hand, so liest man in dem Konzept weiter, habe eine Vorbildfunktion, wenn es darum geht, den Energieverbrauch zu senken. Die Aufgabe ist gewaltig, denn es gilt, rund drei Millionen Quadratmeter Geschossfläche in öffentlichen Immobilien (Verwaltung, Hochschulen,Unternehmensbeteiligungen) energetisch auf Vordermann zu bringen. Allein für diesen Teil der Klimaschutzstrategie liegt der Investitionsbedarf bei rund 3,4 Milliarden Euro.
4. Klimaneutralität in der Wirtschaft: Insbesondere industrielle Großbetriebe setzen viel Treibhausgase frei, allen voran die Stahlproduktion von Arcelor-Mittal, die für rund die Hälfte des gesamten Ausstoßes im Bremer Stadtgebiet steht. Kohle und Koks im Stahlherstellungsprozess sollen in den kommenden Jahren durch "grünen" Wasserstoff ersetzt werden. Auch andere Betriebe sollen bei der Dekarbonisierung unterstützt werden.
Was kostet das?
Ende vergangenen Jahres hatte die Klima-Enquetekommission der Bürgerschaft den Finanzbedarf für sämtliche notwendigen Klimaschutzprojekte auf sechs bis sieben Milliarden Euro geschätzt. Doch nach aktualisierten Berechnungen würden allein die sogenannten Fastlane-Vorhaben rund fünf Milliarden Euro verschlingen. Das entspricht ungefähr dem jährlichen Volumen des Bremer Landeshaushalts (ohne kommunale Ausgaben). Anders gesagt: Aus den laufenden Einnahmen des kleinsten Bundeslandes könnten die Klimaschutzinvestitionen keinesfalls finanziert werden. Und der Aufnahme neuer Kredite steht formal die Schuldenbremse in der Landesverfassung entgegen.
Woher soll das Geld kommen?
Im Auftrag des Senats hatte der Verfassungsrechtler Joachim Wieland bereits zu Jahresbeginn eine gutachterliche Stellungnahme zu dieser Frage vorgelegt. Ergebnis: Die Klimakrise kann aus Wielands Sicht als außergewöhnliche Notlage angesehen werden, die eine Ausnahme vom Verbot neuer Schulden zuließe. Die Bürgerschaft müsste eine solche Notlage ausrufen. Bei Wieland soll nun noch ein zweites Gutachten bestellt werden, das einige praktische Fragen der Finanzierbarkeit von Klimaschutzmaßnahmen genauer beleuchtet. Wielands Expertenmeinung ist allerdings nicht das Maß aller Dinge.
Wie berichtet, hatte sich Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) erst vor wenigen Wochen im Gespräch mit dem WESER-KURIER explizit gegen schuldenfinanzierten Klimaschutz ausgesprochen. Und auf das Wohlwollen des Finanzministers ist Bremen durchaus angewiesen, erhält das Land doch jährliche Sanierungshilfen in Höhe von 400 Millionen Euro aus Berlin. Finanzsenator Dietmar Strehl (Grüne) sieht in neuen Krediten dennoch einen gangbaren Weg, denn: "Wir nehmen neue Schulden nur für sehr eng begrenzte Maßnahmen für Klimaschutz auf." Man müsse die "Klimakrise abwenden, damit auch unsere Kinder noch eine Zukunft haben", so Strehl.