Die gute Nachricht zuerst: Bremens rot-grün-rote Koalition ist nicht so zerrüttet wie das Ampelbündnis in Berlin. Bürgermeister und Finanzsenator laden hier nicht am gleichen Tag zu konkurrierenden Wirtschaftsgipfeln ein. Es sehnt auch niemand das Ende der Legislaturperiode herbei.
Allerdings scheint sich gerade etwas zu verändern in Stil und Ton der Zusammenarbeit. Zwei Vorgänge aus den vergangenen zehn Tagen illustrieren das. Als im Bundesrat die Abstimmung über das sogenannte Sicherheitspaket der Bundesregierung anstand, gab es senatsintern keine gemeinsame Linie, weil die Linken mit einzelnen Bestandteilen des Gesetzeswerks nicht einverstanden waren. In der Vergangenheit hatte sich Bremen bei ähnlichen Meinungsverschiedenheiten schon mehrfach der Stimme enthalten. Nicht so diesmal. Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) beanspruchte Handlungsfreiheit in der Länderkammer und zog das letztlich auch so durch – sehr zum Verdruss der Linken, die den Vorgang am Montagabend im rot-grün-roten Koalitionsausschuss nachträglich monierten.
Auch gegenüber den Grünen formuliert Bovenschulte seinen Führungsanspruch jetzt deutlicher. Zu Beginn der Legislaturperiode nahm er ihnen bereits das Bau- und Verkehrsressort weg, weil ihm die frühere Senatorin Maike Schaefer zu viel politischen Flurschaden angerichtet hatte. Nun legt der Bürgermeister nach. Um den Wohnungsbau anzukurbeln, sollen diverse klimapolitische Vorschriften, die über Bundesstandards hinausgehen, geschleift werden. Das ist mehr oder minder der Arbeitsauftrag, mit dem eine von Bovenschulte ins Leben gerufene Senatskommission ans Werk geht. Die Reaktion der Grünen fiel entsprechend gereizt aus. Als "Quatsch" bezeichnete Fraktionsvize Philipp Bruck die Ausgangsthese, dass Klimaschutz die Bautätigkeit behindere. Solche Vokabeln sind neu in der innerkoalitionären Debatte. Zumindest ließen sich die Akteure bisher so nicht zitieren.
Nun kann man darüber spekulieren, was der Bürgermeister mit seiner neuen Kraftmeierei gegenüber den kleineren Partnern bezweckt. Steckt strategisches Kalkül dahinter? Leitet Bovenschulte den Ausstieg aus dem rot-grün-roten Bündnis ein? Oder sind seine Rempler gegen Grüne und Linke nur Ausdruck von Unzufriedenheit über die schwierige Gesamtlage?
Die nächste Bürgerschaftswahl ist zwar noch ein gutes Stück entfernt. Aber sicher sieht der Bürgermeister die Gefahr, im Frühjahr 2027 mit leeren Händen vor die Wähler treten zu müssen. Nichts geht gerade erkennbar voran im Lande Bremen. Es gibt keine Projekte, die man in zweieinhalb Jahren vorzeigen könnte. Denn für Projekte braucht man Geld, und das zerrinnt den rot-grün-roten Koalitionären gerade zwischen den Fingern. Kaum hat sich der Finanzsenator über dreistellige Zusatzeinnahmen aus Berlin ("Zensus-Millionen") gefreut, da gehen diese Mittel auch schon für das Stopfen von Löchern im Sozial- und Bildungsbudget drauf.
Überhaupt nicht finanziert sind Vorhaben wie der Energy Port in Bremerhaven, mit dem das Land am erhofften Boom der regenerativen Energien teilhaben will. Wie der Umzug des Herzzentrums von Obervieland ans Klinikum Mitte und die Erneuerung von Fuhrpark und Infrastruktur bei der BSAG bezahlt werden sollen, ist ebenfalls völlig schleierhaft. Finanzpolitisch sind die Aussichten auf mittlere Sicht rabenschwarz. Und wenn es ganz schlecht läuft, entscheidet sich der Stahlkonzern Arcelor-Mittal im nächsten Jahr gegen den klimagerechten Umbau seines Bremer Standorts.
Angesichts solcher Widrigkeiten kann man als Regierungschef schon mal ungehalten werden und sich die Frage stellen, ob das Regieren in einer anderen Konstellation einfacher wäre. Die CDU ließe sich vermutlich nicht zweimal bitten, sollte Bovenschulte seine Hand ausstrecken. Doch selbst wenn die Christdemokraten für ihn pflegeleichter wären als Grüne und Linke – Geld können auch sie nicht herbeizaubern. Am wahrscheinlichsten ist also, dass das Klima in der Koalition vorerst gereizt bleibt. Aber die Koalition selbst bleibt eben auch.