Mehr als 874.000 Menschen sind nach Schätzung der Vereinten Nationen allein in der ersten Woche nach den russischen Angriffen aus der Ukraine geflohen. Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR stellt sich auf bis zu vier Millionen Menschen ein. Laut Bundesinnenministerium kamen bislang mehr als 5000 ukrainische Kriegsflüchtlinge nach Deutschland.
In Bremen haben sich laut Sozialbehörde bislang 40 Menschen bei der Zentralen Erstaufnahme gemeldet. In Niedersachsen trafen laut Innenministerium seit Beginn des Krieges 98 ukrainische Flüchtlinge in der Landesaufnahmebehörde ein. Weil ukrainische Staatsbürger visafrei einreisen dürfen und nicht verpflichtet sind, sich bei einer zentralen Aufnahmeeinrichtung zu melden, dürfte die tatsächliche Zahl höher liegen. Viele Ukrainer nutzen Kontakte zu Verwandten und Freunden.
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So ist es auch bei Olga Pasko aus der Großstadt Charkiw im Osten der Ukraine: Ihre Schwester lebt seit sechs Jahren in Bremen und half ihr bei der Flucht. Olga Pasko ist Dozentin für Eisenbahnwesen an der Uni in Charkiw. Die 43-Jährige ist am Dienstag in Bremen angekommen, nach mehreren Tagen auf der Flucht. „Am 24. Februar gab es Fliegeralarm in Charkiw, ich war den ganzen Tag in einem U-Bahn-Schutzraum“, erzählt sie. Am nächsten Tag entschloss sie sich, ihr Land zu verlassen.
Der Zug in Richtung Grenzübergang Uschgorod, in den sie stieg, sei schon am Bahnhof von Charkiw beschossen worden. „Die Leute gerieten in Panik“, erzählt Pasko. Sie versuchte es erneut, doch auch der zweite Zug wurde beschossen. Erst im dritten Anlauf habe sie den Grenzübergang nach Ungarn erreicht. Dort wartete auf ungarischer Seite ihre Schwester aus Bremen mit dem Auto auf sie, erzählt die 43-Jährige, die für ihre Flucht nur einen Rucksack mit eigenen Sachen mitgenommen hat. „Mein Weg hierher war nicht so schwierig“, sagt sie. „Meine Nachbarn und Freunde in Charkiw wollen auch das Land verlassen, und viele haben jetzt nicht mehr die Möglichkeit dazu“, sagt sie. „Charkiw wird von Panzern und Flugzeugen beschossen, von allen Seiten.“
Olga Pasko ist einem Spendenaufruf der Deutsch-Polnischen Gesellschaft in Bremen gefolgt, deren Unterstützer Babybrei, Windeln, Medikamente und andere Hilfsgüter in Kisten packen, um sie ukrainischen Flüchtlingen in Polen zu bringen. „Jetzt möchte ich in erster Linie ukrainischen Menschen helfen“, sagt Pasko.
Etwas komplizierter gestaltete sich der Weg von Rostyslav Voitko und Tatjana Urslova von Kiew nach Bremen. Ihr Kontakt ist eine Patentante in Grasberg. Die beiden 23-Jährigen wurden am frühen Morgen des 24. Februar von Alarmsirenen und Detonationslärm geweckt, berichten sie. Sie hätten schnell entschieden, die Stadt zu verlassen. Nach einigen Stunden in Schutzräumen und U-Bahnschächten erreichten sie einen Evakuierungszug, der sie in das etwa 250 Kilometer südwestlich gelegene Winnitsa brachte. „Während der Fahrt hörten wir die russischen Helikopter über uns“, erzählt Voitko.
In der 350.000-Einwohnerstadt Winnitsa leben seine Eltern, die beide blind sind. Er habe sie überzeugt, mit ihm und seiner Lebensgefährtin gemeinsam die Ukraine zu verlassen. Mangels Zügen oder einem eigenen Fahrzeug starteten sie am nächsten Tag mit einem Taxi zur rund 400 Kilometer entfernten polnischen Grenze. Nach 50 Kilometern gelangten sie an eine zerstörte Brücke und kehrten um. Sie wählten den Weg zur näher gelegenen moldawischen Grenze, die sie zu Fuß nur mit wenig Gepäck überquerten, so Voitko.
Bekannte holten sie ab und brachten sie in die moldawische Hauptstadt Kischinau. Dort konnten sie mit anderen Flüchtlingen einen kleinen Bus chartern, der sie über Rumänien, Ungarn, die Slowakei und Tschechien nach Bremen brachte. Über Vermittlung der evangelischen St. Markus Kirchengemeinde sind sie von einer Familie in Habenhausen aufgenommen worden.
Viele Bremerinnen und Bremer, die Freunde oder Verwandte in der Ukraine haben und sie in die Hansestadt holen wollen, warten auf deren Ankunft. „Die Leute sind noch unterwegs“, hört man von mehreren Bremer Vereinen und Initiativen, die Unterstützung für Menschen aus der Ukraine organisieren. Auch Beratungsstellen müssen sich auf die neue Situation einstellen und benötigen selbst noch Informationen, um Flüchtlinge und Helfer beraten zu können. Derzeit ist zwar klar, dass Bremen Flüchtlinge aufnehmen will. Wie die Ukrainer Sozialleistungen bekommen und zum Beispiel eine Krankenkassenkarte erhalten, sei noch unklar, sagt Lucyna Bogacki von der Awo Bremen.