Die Zahl neuer Fälle, die bis Ende Oktober bei der Bremer Kriminalpolizei eingingen, ist gegenüber dem Vorjahr um rund 20 Prozent gestiegen. Was ein wesentlicher Faktor dafür ist, dass es der Kripo nach wie vor nicht gelungen ist, ihre Halde unerledigten Fälle nachhaltig abzubauen, wie aus einer Senatsantwort auf eine Anfrage der SPD hervorgeht. Was nicht bedeutet, dass die Polizei 2023 langsamer gearbeitet hat als im Vorjahr. Im Gegenteil – die Zahl der erledigten Verfahren ist bislang deutlich höher als 2022.
19.922 unerledigte Fälle lautete die "Haldenzahl" am Ende des dritten Quartals dieses Jahres. Das sind weniger als die Rekordzahl von 22.497 Ende 2022, bedeutet aber gegenüber dem Wert von Ende Juni dieses Jahres einen erneuten Anstieg um über 2000 Fälle. Vor allem aber spiegelt die aktuelle Halde nicht ansatzweise das wieder, was die Polizei seit fast zwei Jahren investiert, um von den hohen Werten herunterzukommen.
19.922 unerledigte Fälle
Anfang 2022 richtete Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) angesichts steigender Zahlen die "Projektgruppe Bearbeitungsrückstände" ein. Im Juni 2023 folgte dann eine sogenannte "Besondere Aufbaugruppe". Und weil schnell klar wurde, dass die Kripo diese Aufgabe niemals alleine würde schultern können, wurden zuletzt praktisch alle Bereiche der Polizei mit eingebunden: Kontaktbeamte, Bereitschaftspolizei, die technische Einsatzeinheit, der Präsidialstab... – insgesamt unterstützten rund 140 Beamte aus anderen Abteilungen zeitweise die Kripo beim Haldenabbau.
"Wir haben wirklich viel unternommen, um die Halde zu reduzieren", sagt Mäurer und verweist auf 75.284 bearbeitete Fälle, die in diesem Jahr bis Ende November bearbeitet wurden. 2022 waren es im selben Zeitraum 61.304 erledigte Vorgänge. "Das zeigt die großen Anstrengungen unsererseits." Was unter anderem dazu geführt habe, dass sich die Bearbeitungsrückstände "verjüngt" hätten. Inzwischen stammt keiner der unerledigten Fälle von vor 2021. Bei Betrugsdelikten datieren die ältesten Fälle aus 2022, bei Diebstählen und Sachbeschädigungen ist man bei der Abarbeitung sogar im laufenden Jahr angelangt.
Kapitalverbrechen würden nicht auf der Halde landen, betont Tim Gelineck, stellvertretende Chef des Landeskriminalamtes. Und noch etwas ist ihm in diesem Zusammenhang wichtig: Jede Akte, die reinkomme, werde umgehend gesichtet – Wie ist die Gefährdungslage, muss sofort gehandelt werden? – und entsprechend gesteuert. Ohnehin dürfe nicht jeder Vorgang auf die Halde gelegt werden. "Da gibt es Vorgaben, das ist sehr genau geregelt."
Abgebaut werden konnten dank der konzertierten Aktionen der vergangenen Monate in erster Linie Fälle, bei denen es um klassische Massendelikte ging, erläutert Gelineck: Diebstähle ohne Tatverdächtige, Sachbeschädigungen, Beleidigungen oder Betrügereien... Vergleichsweise einfache Fälle, ohne Vernehmungen, für die zum Teil auch Angestellte herangezogen werden konnten.
Dass all diese Bemühungen trotzdem nicht zu einer nachhaltigen Reduzierung der Zahl unerledigter Fälle führte, liegt an einer zweiten Entwicklung: Die Zahl der neuen Fälle ist im laufenden Jahr bislang um über 10.000 gestiegen. Landeten 2022 bis Ende Oktober 55.107 neue Verfahren bei der Kripo, so waren es in diesem Jahr bis Ende des dritten Quartals 65.687. Dies erkläre "die trübe Bilanz" beziehungsweise das unverändert hohe Niveau bei den Rückständen, sagt Ulrich Mäurer.
Kinderpornografie und Onlinebetrug
Innerhalb dieses Zuwachses seien es vor allem zwei Bereiche, die "durch die Decke" gingen: Zum einen ist das die Zahl der gemeldeten Verdachtsfälle von Kinder- und Jugendpornografie, die den deutschen Ermittlungsbehörden größtenteils aus den USA gemeldet würden. Zum anderen sind es die Fälle von Betrügereien im Onlinehandel. In der Regel gehen damit – wie auch bei den Ermittlungen zum Drogenhandel bei den Encrochat-Verfahren – Unmengen von zu sichtenden Daten einher. Ein weiterer Faktor, der den schnellen Abbau der Halde ausbremst, so Gelineck: "Aufgrund der Komplexität der Verfahren, wird der Ermittlungsaufwand größer."
Spätestens hier stößt die Unterstützung der Kripo durch andere Referate der Polizei an Grenzen. "Wir brauchen qualifizierte Ermittler", betont Innensenator Mäurer. Und richtet den Blick nicht ohne Sorge auf die kommenden Jahre: "Entscheidend wird sein, wie viele Ausbildungsplätze wir anbieten können."