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Lockdown-Folgen Der lange Schatten der Pandemie

73 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind laut Studien durch Einschränkungen während der Pandemie psychisch belastet. Um ihre Anliegen wird sich zu wenig gekümmert, meint Kristin Hermann.
11.05.2023, 05:00 Uhr
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Der lange Schatten der Pandemie
Von Kristin Hermann

Für diejenigen, die relativ un­beschadet durch die Pandemie gekommen sind, scheinen Lockdowns und ­Maskenpflicht inzwischen weit weg. Eine ­unerfreuliche Episode, die gelegentlich noch aufblitzt, aber im Alltag mehr und mehr verblasst. Das Leben geht seinen gewohnten Gang, könnte man meinen. Doch so einfach ist es nicht für alle. Eine Gruppe hat während der Lockdowns und der Zeit der Einschränkungen besonders verzichten müssen und leidet bis heute unter den Folgen: Kinder und Jugendliche. Um ihre Anliegen wird sich noch immer zu wenig gekümmert. Was fehlt, sind umfassende und schnelle Unterstützungsangebote.

Die Rechte und das Wohlbefinden von Heranwachsenden standen schon während der Pandemie zu selten im Mittelpunkt. Monatelange Schul- und Kita-Schließungen, Distanzunterricht, fehlende soziale Kontakte, mangelnde Bewegung, ausgefallene Klassenfahrten oder Abifeiern – einer ganzen Generation wurden prägende Erfahrungen genommen, die zum Erwachsenwerden normalerweise dazugehören. Vor allem bei sozial benachteiligten Familien in engen Wohnungen haben die Schwierigkeiten und existenziellen Nöte in dieser Zeit zugenommen.

War in den ersten Monaten das Verständnis für die ungewohnte Situation noch groß, gab es später Kritik, als etwa der Schul- und Kitabetrieb wieder eingeschränkt wurde. Mittlerweile räumt auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ein, dass Schulen und Kitas in Deutschland zu lange geschlossen waren.

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Im Februar legte eine Arbeitsgruppe der Bundesregierung einen Bericht zu den Auswirkungen der Pandemie vor. Die Zahl lässt die Dimension des Problems erschreckend deutlich werden: Demnach sind 73 Prozent der Kinder und Jugendlichen noch immer psychisch angeschlagen. Hinzu kommen Belastungen durch Krieg, Inflation und Klimakrise.

Wie tiefgreifend die Einschnitte für viele Heranwachsende waren, zeigen auch Umfragen und Statistiken. Man weiß gar nicht, wo man bei der Aufzählung anfangen soll: mehr psychische Erkrankungen, Gewalt in der Familie, Essstörungen, Übergewicht und ein auffälliger Internetkonsum belasten die Jugend stärker als zuvor. Viele Kinder haben dadurch Schwierigkeiten im Alltag. Sie haben Ängste in der Schule oder finden nicht den Weg zurück in den Sport- oder Musikverein. Das kann auf lange Sicht auch gesamtgesellschaftlich problematisch werden.

In der Politik ist man sich dessen zwar bewusst. „Kinder waren die größten Verlierer der Pandemie. Wir schulden ihnen, dass sie jetzt Priorität haben“, sagte Lauterbach unlängst nach einer hitzigen Bundestagsdebatte zu dem Thema. Die Regierung hat deshalb vor einigen Wochen ein Paket beschlossen, das die Folgen der Pandemie abfedern soll. Das Ganze kommt jedoch reichlich spät. Und reicht es, um die weitreichenden Schäden einzudämmen?

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Wie immer klingen die Versprechungen erst einmal gut: Zu den Schwerpunkten soll die Verbesserung der psychischen Gesundheit gehören. In einem Modellprojekt sollen dafür unter anderem sogenannte Mental Health Coaches belastete Schulen unterstützen. Doch schaut man genauer hin, kommen schnell Zweifel daran auf, wie viele Kinder und Jugendliche tatsächlich profitieren.

So sollen etwa die Fachkräfte für psychische Gesundheit zunächst an lediglich 100 ausgewählten Schulen zum Einsatz kommen – angesichts von mehr als 40.000 Schulen in Deutschland wirkt das geradezu lächerlich. Für die seelische und körperliche Gesundheit von Heranwachsenden müssten weit größere Anstrengungen unternommen werden als bislang geplant.

Die Fehler, die während der Pandemie gemacht wurden, lassen sich sicherlich nicht von jetzt auf gleich korrigieren. Doch die Regierung und die Gesellschaft sollten alles daransetzen, dass eine ganze Generation endlich so behandelt wird, wie sie es verdient hat.

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